ForumKleines Handbuch für den perfekten Schwurbler

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 Foto: Editpress/Alain Rischard

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„Schwurbeln: Unsinn erzählen. Synonyme: Faseln, labern.“ (Duden, deutsches Wörterbuch)

1. Verehrter Schwurbler, halte dir stets vor Augen: Du hast immer recht. Alle anderen haben immer unrecht.

2. Da du immer recht hast, wirst du angefeindet von allen anderen, die immer unrecht haben. Lass dir ihre schamlosen Angriffe nicht bieten. Schlag zurück mit aller Dreistigkeit. Nenn deine Feinde Hexenjäger, Zerstörer, Verrückte, Gestörte, Geisteskranke, Frustrierte, Lügner, Betrüger, Korrupte, Pervertierte. Kein Schlagwort ist stark genug, um den Abschaum zu brandmarken. Du kannst dein Verachtungsvokabular zu jeder Zeit ausbauen. Sei kreativ beim Verleumden.

3. Wie es sich für Unterlegene gehört, werden deine Feinde ausnahmslos zu unerlaubten Waffen greifen. Ihr billigster Trick ist, die Demokratie ins Feld zu führen. Du sollst nie vergessen: Demokratie ist eine Erfindung der Heimtückischen und Hinterhältigen. Sie dient der Blendung und Überrumpelung. Du sollst ausgeschaltet werden mittels Demokratie. Wenn du nicht untergehen willst, musst du die Demokratie mit aller Entschiedenheit bekämpfen.

4. Lass dich nie auf Friedensangebote ein. Deine Feinde beherrschen die Kunst der schleichenden, friedfertigen Annäherung. Sie umgarnen dich mit fairen Gesprächsvorschlägen. Fairness ist immer nur ein Trugschluss. Sie wird dann beschworen, wenn es darum geht, dich zu knebeln und mundtot zu machen. Erkläre der Fairness den Krieg. Sei unfair bis zum Gehtnichtmehr. Dann werden deine Feinde einknicken.

5. Die Welt ist genau so, wie du sie siehst. Lass nicht zu, dass diese Gewissheit erschüttert wird. Deine Feinde lassen nichts unversucht, um dich mit sogenannten Fakten zu verwirren. Fakten sind das genaue Gegenteil deiner Eingebung. Mit Fakten sollst du umzingelt und gefesselt werden. Nimm dich in Acht. Wenn du erst einmal in die Faktenfalle getappt bist, kannst du dich nicht mehr aus eigener Kraft befreien. Fakten sind wie Fangeisen. Sie schnappen zu und lähmen dich.

6. Deine Feinde sind an Niedertracht nicht zu überbieten. Sie treiben dich ins Dickicht ihrer giftigen Rhetorik. Sie hoffen, dass du über ihre Phrasen und Sprüche stolperst. Sie reden überheblich von Abwägen, Differenzieren, Relativieren. Sie fordern Vernunft und Augenmaß. Lass dich nur nicht irreführen. Du bist stärker als deine Widersacher. Du kannst draufhauen, reintreten, niedermachen. Nutze dein Talent. Der Gewalttätige ist immer im Vorteil. Gewalt ist das Elixier der wahren Weltenretter.

Keine Nuancen

7. Nuancen sind des Teufels. Die Welt ist schlecht, sie braucht keine nuancierte Betrachtung. Deine Feinde legen es darauf an, dir mit Nuancen den Verstand zu ruinieren. Durchkreuze ihr dreckiges Spiel. Sei immer grobschlächtig und einseitig. Rede immer Tacheles. Lass dir nie Barbarei unterstellen. Du weißt, wo sich die echten Barbaren zusammenrotten. Sie verschanzen sich in den Hochburgen deiner vernunftbegabten Feinde.

8. Vernunft wirkt wie ein Betäubungsmittel. Deine Feinde wollen dich schachmatt setzen. Sie träufeln dir ihre verführerischen Parolen ins Hirn. Sie versuchen, deinen Kopf auszuschalten. Aber du durchschaust ihre perfide Strategie. Du lässt dir nichts einreden und nichts vormachen.

9. Wenn deine Feinde nicht mehr weiterwissen, fordern sie Demut und Bescheidenheit. Das ist der Gipfel der Infamie. Demut ist nichts als Stillstand, Bescheidenheit führt zur Bewegungslosigkeit. Gegen diese Taktik der Einschläferung musst du kraftvoll aufbegehren. Du sollst lärmen und randalieren. Leg deine Worte nie auf die Goldwaage. Sei auf keinen Fall wählerisch. Zertrümmern ist heilsamer als aufbauen.

10. Gegen den Sanftheitswahn deiner Feinde hilf nur eines: der rabiate Eingriff. Sei jederzeit rücksichtslos, verehrter Schwurbler. Die Losung heißt: auftrumpfen, aufräumen, einkesseln, beseitigen. Sanftheit ist nur ein Zeichen von Schwäche.

11. Halte dir stets vor Augen: Du hast immer recht. Alle anderen haben immer unrecht. Sie versuchen nur, ihr Unrecht zu leugnen. Sie scheitern immer wieder mit dieser hilflosen, armseligen Finte. Du bist der unanfechtbare Rechthaber. Es liegt in deiner Hand, die Unrechtmäßigen zu eliminieren.

12. Im Zweifelsfall sollst du die Sprache kaputtmachen. Die Sprache ist leider das scharfe Schwert deiner Feinde. Du hast den Auftrag, die Sprache zu zerschlagen. Wenn die Worte erst mal keinen Sinn mehr haben, verlieren deine Feinde ihr Rückgrat.

13. Sprachlosigkeit bereitet deinem Siegeszug das Feld. Sei ein stolzer Sieger. Stumm, aber unbeirrbar. Wer noch brabbelt und stammelt, dem wird die Zunge aus dem Maul gerissen. Du darfst nicht wählerisch sein. Du musst alle zum Schweigen bringen, die dir mit der Sprache in den Rücken fallen.

14. Das große Schweigen ist das Fundament der neuen Welt. Es soll keiner mehr aufmucken. Du wirst dafür sorgen, dass Stille herrscht.

15. Deine Mission ist noch nicht beendet. Wenn deine Feinde wohl oder übel schweigen, musst du dich ihrer lautlosen Gedanken annehmen. Freie Gedanken gefährden den inneren Frieden. Freiheit, selbst unsichtbare, zersetzt deinen Machtanspruch. Den gefährlichen Gedankenfluss musst du nachhaltig eindämmen. Du kennst Wege und Verfahren. Du weißt: Hirnwäsche ist nach wie vor ein probates Mittel. Die grauen Zellen deiner Feinde musst du außer Gefecht setzen. Schone deine Feinde nicht. Schlag ihnen die Köpfe ein.

16. Halte dir stets vor Augen: Du bist der Größte. Du bist der Einzige. Du hast immer recht. Befreie uns von allen Übeln, verehrter Schwurbler!

Guy Rewenig ist Dichter, Theater-, Roman- und Kinderbuchautor
Guy Rewenig ist Dichter, Theater-, Roman- und Kinderbuchautor Foto: Editpress/Didier Sylvestre