ForumIm Bankwesen herrschen weiterhin Unfug und mangelhafte Regeln

Forum / Im Bankwesen herrschen weiterhin Unfug und mangelhafte Regeln
 Foto: AFP/Bryan R. Smith

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Im Dezember nahmen die CEOs der acht größten Banken der Vereinigten Staaten an einer dreistündigen Sitzung vor dem Bankenausschuss des Senats teil, im Rahmen derer sie ihre Standpunkte darlegten. Geboten wurde ein ernüchterndes Schauspiel, das die toxische Mischung aus Politik und hanebüchener Rhetorik verdeutlichte, die die Diskussionen über das Bankwesen oftmals prägt.

Ein Großteil der Anhörung konzentrierte sich auf die geplanten Bankenregeln, die in den USA als „Basel 3 Endgame“ bekannt sind. Unter dem Anspruch, die potenziellen Auswirkungen dieses komplexen Themas „für den Durchschnittsamerikaner zu übersetzen“, erklärte der republikanische Senator Tim Scott, die vorgeschlagenen Regeln würden dazu führen, dass „weniger Geld an Amerikaner verliehen werde“. Die Banker und mehrere Senatoren, darunter auch Scott, argumentierten, diese Vorschriften würden arme Menschen daran hindern, den amerikanischen Traum zu verwirklichen, weil dadurch ein Teil des Geldes der Banken „nicht zur Verfügung stünde“.

Diese Drohungen beruhen jedoch häufig auf Unwahrheiten, wie beispielsweise Scotts Behauptung, Banken könnten Kapital nicht nutzen. In Wirklichkeit würde „absolut nichts in diesen Regularien die Banken daran hindern, Kredite zu vergeben“, stellte der demokratische Senator Sherrod Brown fest. Stattdessen würden die Regeln von den Banken einfach verlangen, sich zur Finanzierung von Darlehen und Investitionen stärker auf Eigenkapital und weniger auf Kredite zu stützen. Schon der verstorbene Fed-Chef Paul Volcker bemerkte einst bekanntlich, dass in der Debatte über Kapitalanforderungen jede Menge „Schwachsinn“ verbreitet werde.

Vorsichtige Banken beharren bei der Kreditvergabe zwar darauf, dass Kreditnehmer auch ein Risiko mittragen sollen, wehren sich aber vehement gegen Regelungen, die darauf abzielen, ihre gefährliche Abhängigkeit von Krediten zu senken. Die Abneigung der Banken gegen Eigenkapitalfinanzierung und ihre Sucht nach Krediten ermöglicht es ihnen, Kosten und Risiken auf andere abzuwälzen und letztlich auf Kosten der Allgemeinheit zu profitieren. Oft kommen sie damit durch, weil Politik und Öffentlichkeit in die Irre geführt werden.

Verwirrung stiften

Kurz nach der Finanzkrise 2007-2009 wurde mir klar, dass maßgebliche politische Entscheidungen durch unsinnige Analysen, undurchschaubaren Fachjargon, falsche und irreführende Argumente sowie die ungeeignete Anwendung mathematischer Modelle beeinflusst wurden. Infolgedessen hat man ständig Möglichkeiten zur Verbesserung des Bankensystems übersehen. Die Banker haben die Mechanismen, aufgrund derer Regelungen formuliert und durchgesetzt werden, korrumpiert, indem sie Verwirrung stifteten und Einfluss auf Politik, Aufsichtsbehörden, die Rechtslage sowie Ökonominnen und Ökonomen ausübten.

In dem 133.000 Wörter umfassenden Regularium „Basel 3 Endgame“ wird ein komplexes System von „Risikogewichtungen“ durch den Versuch einer Justierung der Regeln angepasst. Die Banken setzen die Komplexität der vorgeschlagenen Regeln als Waffe ein und drohen, bestimmte Kredite nicht zu gewähren. In Wirklichkeit werden sie mit den Kreditsubventionen, die ihnen von uns allen gewährt werden, wieder ungeniert Risiken eingehen, überhöhten Renditen nachjagen und uns alle in Gefahr bringen.

In den vergangenen 14 Jahren habe ich die von zahlreichen Bankern, Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern verbreiteten Irrtümer, belanglosen Fakten und Mythen immer wieder infrage gestellt. Im November 2010 beteiligte ich mich an der Organisation eines von 20 Bank- und Finanzwissenschaftlern unterzeichneten Briefes, in dem davor gewarnt wurde, dass die vorgeschlagenen Basel-3-Reformen völlig unzureichend seien. In einem offenen Brief an den Vorstand von JPMorgan Chase habe ich außerdem die irreführenden Behauptungen ihres CEOs Jamie Dimon über Basel 3 widerlegt und Dimon dafür kritisiert, implizit erklärt zu haben, dass ein Vorteil für Großbanken automatisch ein Nutzen für ganz Amerika sei.

Der deutsche Ökonom Martin Hellwig und ich haben erkannt, wie wichtig es ist, der Verschleierung durch die Banker entgegenzuwirken, weswegen wir im Jahr 2013 das Buch „Des Bankers neue Kleider: Was bei Banken wirklich schiefläuft und was sich ändern muss“ veröffentlichten. Unser Ziel war es, aufzuzeigen, wie und weshalb Banken so unnötig gefährlich sind, sowie Vorschläge zur Änderung des Systems zu unterbreiten, die lediglich politischen Willen erfordern. Doch letztlich behielt die symbiotische Beziehung zwischen Banken, Regierungen und Teilen der Medien und der Wissenschaft die Oberhand. Der demokratische Senator Richard Durbin stellte 2009 fest, Capitol Hill sei „im Besitz“ der Banken.

Über ein Jahrzehnt später ist JPMorgan Chase deutlich größer geworden: Die Einlagen haben sich von 1,1 Billionen Dollar im Dezember 2011 auf fast 2,5 Billionen Dollar im Dezember 2023 mehr als verdoppelt, und übertreffen bei weitem die ausgewiesenen Kredite, die von 700 Milliarden Dollar im Jahr 2011 auf 1,3 Billionen Dollar im Jahr 2023 anwuchsen. Das ausgewiesene Vermögen der Bank, in Höhe von etwa 3,4 Billionen Dollar, würde sich, gestapelt in Dollarscheinen, über 370.000 Kilometer ins All erstrecken – also fast bis zum Mond reichen.

Kultur des Leichtsinns

Obwohl der Run auf die Silicon Valley Bank und die First Republic Bank im Frühjahr 2023 berechtigte Bedenken hinsichtlich der Vermögenswerte und Solvenz der Banken zum Ausdruck brachte, verschleiern unzulängliche Rechnungslegungsvorschriften und die Unterstützung der Fed weiterhin die Anfälligkeit anderer Banken. Die fortgesetzten Rettungsaktionen sind für die Gesellschaft kostspielig und fördern sowohl in den USA als auch in anderen Teilen der Welt eine Kultur des Leichtsinns.

Der Zusammenbruch der Credit Suisse ist ein Paradebeispiel für die Verwerfungen, die durch den Niedergang von Finanzinstitutionen entstehen, die über mehrere Rechtsordnungen hinweg aktiv sind. Es ist zu bezweifeln, dass die Fortführung derart großer Institute angesichts der Kosten und Risiken, die sie für unsere Gesellschaften darstellen, gerechtfertigt ist. Darüber hinaus hat die Vorzugsbehandlung von Banken zu einer weit verbreiteten Missachtung von Regeln geführt und damit kriminellem Verhalten Vorschub geleistet, das ja häufig straflos bleibt.

Politische Kräfte und Fehlinformationen verzerren weiterhin politische Entscheidungen. In einer neuen und erweiterten Auflage unseres Buches untersuchen Hellwig und ich die schwerwiegenden Governance-Probleme, die den Bankensektor belasten und unsere Demokratien untergraben. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der 13 Milliarden Dollar schwere Vergleich, dem JPMorgan Chase Ende 2013 zugestimmt hatte, um ein Verfahren zu vermeiden, das vernichtende Details über Betrügereien zutage gefördert hätte, die von Mitarbeitenden der Bank unter Dimons Führung begangen wurden.

Auch wenn Dimon zu Recht feststellt, dass die Vorschriften für den Bankensektor übermäßig komplex sind, so spricht er sich gleichzeitig vehement gegen einfachere Regelungen aus. Doch durch die wirksame Gestaltung und Umsetzung derartiger Regeln könnte die Politik den Bedarf an kostspieligeren Vorschriften verringern und praktisch zum Nulltarif erheblichen gesellschaftlichen Nutzen erzielen.

Sind Banken für Eigenkapitalinvestoren unattraktiv, könnte das an ihrer gefühlten Undurchsichtigkeit liegen oder daran, dass der Bankensektor zu sehr von Kreditsubventionen abhängig geworden ist, die entfielen, wenn die Finanzinstitute auf Eigenkapitalfinanzierung zurückgreifen würden. Pauschalsubventionen für profitmaximierende Banken sind jedoch wenig sinnvoll. Stattdessen sollten öffentliche Gelder für lohnenswerte Vorhaben und Zwecke verwendet werden, die der Unterstützung am meisten bedürfen.

Die Unfähigkeit unserer Demokratien, sich dem Einfluss mächtiger Konzerne und ihrer Manager zu widersetzen, ist alarmierend. Dies insbesondere angesichts der Tatsache, dass dieses fortgesetzte Versagen die berechtigte Unzufriedenheit mit unseren Wirtschafts-, Politik- und Rechtssystemen schürt. Täuschung (möglicherweise Selbsttäuschung) ist nicht nur im Bankwesen, sondern auch in zahlreichen anderen Branchen weit verbreitet.

Auf der Grundlage irreführender und unredlicher Drohungen betreiben die Banken intensive Lobbyarbeit und mobilisieren Menschen und Politik, um sich den vorgeschlagenen Regeln zu widersetzen. Am 16. Januar 2024, dem Ende der Frist für öffentliche Stellungnahmen, habe ich meine Reaktion auf das Basel-3-Endgame-Regelwerk sowie einen weiteren damit verbundenen und fehlgeleiteten Vorschlag vorgelegt. Beigefügt habe ich meinem Schreiben ein Dokument, in dem 44 fehlerhafte Behauptungen widerlegt werden. Mein Mitautor und ich werden die Thematik weiter verfolgen, sollten wir auf noch mehr derartige Behauptungen stoßen. Ich befürchte, in der Bankenpolitik wird das vorsätzliche Verschließen der Augen vor der Wahrheit die Einführung besserer Regel wohl verhindern.

*Anat R. Admati ist Professorin für Finanz- und Wirtschaftswissenschaften an der Stanford Graduate School of Business sowie Mitautorin des (gemeinsam mit Martin Hellwig verfassten) Buchs „The Bankers’ New Clothes: What’s Wrong with Banking and What to Do about It – New and Expanded Edition“ (Princeton University Press, 2024).

Übersetzung: Helga Klinger-Groier

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