ForumDie Zukunft der Arbeit im Zeitalter der KI

Forum / Die Zukunft der Arbeit im Zeitalter der KI
Vielleicht ist die menschliche Psyche flexibel genug, um eine Welt des Überflusses, in der wenig oder gar nicht gearbeitet wird, eher als ein Segen denn als eine Apokalypse zu betrachten Foto: dpa/Peter Steffen

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Die jüngsten Diskussionen über die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf die Erwerbsarbeit bewegen sich zwischen den Polen der Apokalypse und der Utopie. Im apokalyptischen Szenario wird die KI einen großen Teil der Arbeitsplätze verdrängen und die Ungleichheit erheblich verschärfen, da eine kleine Klasse von Kapitalbesitzern Produktionsüberschüsse erwirbt, die sie zuvor mit menschlichen Arbeitskräften geteilt hat.

Das utopische Szenario ist seltsamerweise das gleiche, nur dass die sehr Reichen durch ein universelles Grundeinkommen oder ein ähnliches Transferprogramm gezwungen werden, ihre Gewinne mit allen anderen zu teilen. Alle werden Überfluss und Freiheit genießen und schließlich Marx’ Vision des Kommunismus verwirklichen, in der es „mir möglich ist, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“.

In beiden Szenarien wird davon ausgegangen, dass die KI die Produktivität enorm steigern wird, sodass selbst hoch bezahlte Ärzte, Softwareprogrammierer und Piloten gezwungen sein werden, neben Lkw-Fahrern und Kassierern von Arbeitslosenunterstützung zu leben. Künstliche Intelligenz wird nicht nur besser programmieren als ein erfahrener Programmierer, sondern auch alle anderen Aufgaben besser erledigen, für die ein Programmierer umgeschult werden könnte. Wenn all dies zutrifft, wird die KI einen ungeheuren Reichtum hervorbringen, den selbst der außergewöhnlichste Sybarit nur mit Mühe ausschöpfen könnte.

Sowohl die dystopischen als auch die utopischen Ergebnisse reduzieren die KI auf ein politisches Problem: ob die Abgehängten (die den Vorteil haben, die Mehrheit zu stellen) in der Lage sein werden, die KI-Magnaten zu zwingen, ihren Reichtum zu teilen. Es gibt Grund zum Optimismus. Erstens sind die Gewinne aus der künstlichen Intelligenz in diesem Szenario so extravagant, dass es den Superreichen nichts ausmachen wird, auf ein paar marginale Dollar zu verzichten, sei es, um ihr Gewissen zu beruhigen, sei es, um sozialen Frieden zu erkaufen. Zweitens wird die wachsende Masse der Abgehängten hochgebildete, politisch engagierte Menschen umfassen, die sich den traditionell Abgehängten anschließen und für eine Umverteilung eintreten werden.

Eine psychologische und politische Frage

Aber es gibt auch eine tiefer gehende Frage. Wie werden die Menschen psychologisch und politisch auf die Erkenntnis reagieren, dass sie ihren Beitrag zur Gesellschaft nicht mehr durch Erwerbsarbeit leisten können? Die Erwerbsbeteiligung der Männer ist bereits seit den 1940er-Jahren deutlich zurückgegangen, und obwohl Frauen erst in den 1970er- und 1980er-Jahren in größerer Zahl ins Erwerbsleben eingetreten sind, ist auch ihre Erwerbsquote rückläufig. Dies könnte einen Trend widerspiegeln, dass die Menschen am unteren Ende der Gesellschaft mit zunehmendem technologischen Fortschritt die Fähigkeit verlieren, ihre Arbeitskraft in einen vergütbaren Wert umzuwandeln. Künstliche Intelligenz könnte diesen Trend noch beschleunigen und auch die Menschen in der Mitte und an der Spitze überflüssig machen.

Wenn der gesellschaftliche Überschuss auf viele Schultern verteilt wird, könnte man fragen: „Wen kümmert’s?“ In der Vergangenheit vermieden es die Angehörigen der Oberschicht zu arbeiten und verachteten diejenigen, die es taten. Sie füllten ihre Zeit mit der Jagd, literarischen Beschäftigungen, Festen, politischen Aktivitäten, Hobbys usw. aus und scheinen mit ihrer Situation recht zufrieden gewesen zu sein (zumindest wenn man von den gelangweilten Adligen absieht, die in Tschechows Geschichten auf der Datscha faulenzen).

Moderne Ökonomen neigen dazu, Arbeit genauso zu betrachten, nämlich einfach als Kosten, die durch höhere Löhne ausgeglichen werden müssen, um Menschen zur Arbeit zu bewegen. Wie Adam und Eva betrachten sie Arbeit als etwas implizit Schlechtes. Die gesellschaftliche Wohlfahrt wird durch Konsum maximiert, nicht durch „gute Arbeit“. Wenn das stimmt, dann können wir Menschen, die ihre Arbeit verlieren, einfach entschädigen, indem wir ihnen Geld geben.

Segen oder Apokalypse

Vielleicht ist die menschliche Psyche flexibel genug, um eine Welt des Überflusses, in der wenig oder gar nicht gearbeitet wird, eher als ein Segen denn als eine Apokalypse zu betrachten. Wenn die Aristokraten der Vergangenheit, die Rentner von heute und die Kinder aller Epochen ihre Zeit mit Spielen, Hobbys und Festen füllen konnten, können wir das vielleicht auch.

Die Forschung zeigt jedoch, dass die psychologischen Schäden der Arbeitslosigkeit beträchtlich sind. Selbst nach Kontrolle des Einkommens ist Arbeitslosigkeit mit Depressionen, Alkoholismus, Angstzuständen, sozialem Rückzug, gestörten Familienbeziehungen, schlechteren schulischen Leistungen der Kinder und sogar vorzeitiger Sterblichkeit verbunden. Die jüngste Literatur über den „Tod aus Verzweiflung“ zeigt, dass Arbeitslosigkeit mit einem erhöhten Risiko für Selbstmord einhergeht. Die Massenarbeitslosigkeit im Zusammenhang mit dem „China-Schock“ in einigen Regionen der USA wurde mit einem erhöhten Risiko für die psychische Gesundheit der Betroffenen in Verbindung gebracht. Der Verlust des Selbstwertgefühls, des Sinns und der Nützlichkeit ist unvermeidlich in einer Gesellschaft, die Erwerbsarbeit wertschätzt und Arbeitslose verachtet.

Die langfristige Herausforderung durch KI ist daher weniger die Frage, wie Wohlstand umverteilt werden kann, sondern wie Arbeitsplätze in einer Welt erhalten werden können, in der menschliche Arbeit nicht mehr geschätzt wird. Ein Vorschlag besteht darin, KI im Vergleich zu Arbeit höher zu besteuern, während ein anderer, kürzlich vom MIT-Wirtschaftswissenschaftler David Autor vorgebracht, darin besteht, die Entwicklung von KI mit öffentlichen Mitteln so zu gestalten, dass sie menschliche Arbeit eher ergänzt als ersetzt.

Der Tag der Abrechnung

Keine dieser Ideen ist vielversprechend. Wenn die optimistischsten Prognosen über die künftigen Produktivitätsvorteile der KI zutreffen, müsste eine Steuer sehr hoch sein, um eine Wirkung zu erzielen. Außerdem werden KI-Anwendungen wahrscheinlich sowohl komplementär als auch substitutiv sein. Schließlich erhöhen technologische Innovationen in der Regel die Produktivität einiger Arbeitnehmer, während andere Aufgaben wegfallen. Greift der Staat ein, um komplementäre KI zu subventionieren, z.B. Algorithmen, die das Schreiben oder Codieren verbessern, könnte dies ebenso leicht dazu führen, dass Arbeitsplätze verdrängt werden, als dass sie erhalten bleiben.

Selbst wenn durch Steuern oder Subventionen Arbeitsplätze am Leben erhalten werden können, die weniger wertvoll sind als KI-Substitute, wird der Tag der Abrechnung damit nur hinausgezögert. Menschen, die Selbstwertgefühl aus ihrer Arbeit beziehen, tun dies zum Teil, weil sie glauben, dass die Gesellschaft ihre Arbeit wertschätzt. Sobald klar wird, dass ihre Arbeit besser und billiger von einer Maschine erledigt werden kann, werden sie nicht mehr in der Lage sein, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass ihre Arbeit wichtig ist. Hätte die US-Regierung die Arbeitsplätze der Peitschenmacher erhalten, als das Automobil die Pferdekutschen verdrängte, wäre es zweifelhaft, ob diese Arbeitsplätze heute noch viel Selbstwertgefühl vermitteln würden.

Selbst wenn sich die Menschen langfristig an ein Leben in Muße anpassen können, lassen die optimistischsten Prognosen zur KI-Produktivität kurzfristig massive Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten erwarten, vergleichbar mit den Auswirkungen des China-Schocks. Das bedeutet erhebliche und für viele Menschen sogar dauerhafte Arbeitslosigkeit. Es gibt kein soziales Sicherheitsnetz, das groß genug wäre, um die Menschen vor den Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit und die Gesellschaft vor den politischen Unruhen zu schützen, die sich aus einer so weit verbreiteten Enttäuschung und Entfremdung ergeben würden.


Eric Posner
Eric Posner

Von Andreas Hubig aus dem Englischen übersetzt.

Eric Posner ist Professor an der University of Chicago Law School. Sein Buch How Antitrust Failed Workers ist 2021 bei Oxford University Press erschienen.

Copyright: Project Syndicate, 2024, www.project-syndicate.org