ChronikZwischen „Sicherheitsgefühl“ und sozialer Kälte: Ein Rückblick auf das Gezerre um das Bettelverbot

Chronik / Zwischen „Sicherheitsgefühl“ und sozialer Kälte: Ein Rückblick auf das Gezerre um das Bettelverbot
Innenminister Léon Gloden und Bürgermeisterin Lydie Polfer: Zwei der wichtigsten Unterstützter des Bettelverbots.  Montage: Tageblatt/Grafik

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Vor genau einem Jahr wurde in einer Gemeinderatssitzung in Luxemburg-Stadt der Grundstein für das sogenannte Bettelverbot gelegt. Während zwölf Monaten diskutierten Justiz, Politik und die Zivilgesellschaft über das umstrittene Verbot. Eine Chronik der wichtigsten Ereignisse.

27.3.2023: Gemeinderat stimmt für Bettelverbot 

In Luxemburg-Stadt soll es verboten werden, Fremde um Kleingeld zu bitten. Eine Anpassung der Polizeiverordnung der Gemeinde soll es möglich machen. Das Vorhaben der DP-CSV-Mehrheit ist umstritten: Ihre Pläne hatte die Gemeindeleitung bereits einige Tage zuvor vorgestellt und dafür von den anderen Parteien heftige Kritik geerntet. Die Vereinigung der Geschäftsleute hingegen begrüßt das Bestreben. Betroffene selbst sagen dem Tageblatt wenige Tage vor der Abstimmung des Gemeinderats: „Wir werden dadurch nicht einfach verschwinden.“

Während der fast dreistündigen Abhandlung dieses Punktes im Gemeinderat werfen sich Mehrheit und Opposition immer wieder gegenseitig Populismus vor. Am Ende setzen sich die beiden Koalitionspartner mit ihrem Plan durch, die Opposition stimmt geschlossen dagegen. Details, wie genau die Gemeinde ihr Verbot eigentlich durchsetzen will, bleiben unklar. Nach dem Beschluss meldet sich der Präsident der Menschenrechtskommission in Luxemburg, Gilbert Pregno, zu Wort. Er empfindet das Vorgehen als eine „enttäuschende Entscheidung.“ „Ich kann dieses Verbot nicht annehmen“, sagt er gegenüber dem Tageblatt.

Doch nun liegt der Ball zunächst beim Innenministerium. Dort trifft der Beschluss der Stadt am 30. März ein – Taina Bofferdings Ministerium hat bis zum 30. Juni Zeit, um eine Entscheidung zu treffen.

16.5.2023: Innenministerin Taina Bofferding verweigert Genehmigung für das Bettelverbot

Ehe das geplante Verbot in Kraft treten kann, muss die Änderung der Polizeiverordnung vom Innenministerium abgesegnet werden. Doch die damalige Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) zieht nicht mit: Sie kippt den Beschluss noch vor Ende der dreimonatigen Frist und basiert ihre Entscheidung auf einer juristischen Analyse: „Demnach fehlt die konkrete Begründung dafür, den simplen Akt des Bettelns als Gefahr einzustufen. Denn eine Person, die mit ihrem Becher lediglich in der Fußgängerzone sitzt, stellt keine Bedrohung dar.“

Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) sowie Schöffe Serge Wilmes (CSV) zeigen sich bei einer Pressekonferenz am selben Tag überrascht über die Entscheidung. Immerhin gebe es auch in Diekirch und Ettelbrück Bettelverbote. Sie planen, die Entscheidung anzufechten: „Auch wir haben gute Juristen. Deshalb können wir diese Einschätzung auf jeden Fall nicht teilen.“

26.5.2023: Düdelinger Gemeinderat lässt Abschnitte zum Bettelverbot aus der Polizeiverordnung streichen

Die Diskussionen um das Bettelverbot in Luxemburg-Stadt haben auch einen Effekt auf andere Gemeinden. Das Bettelverbot wird in Düdelingen komplett aus der Verordnung gestrichen. Es sei sowieso nie angewandt worden, so Bürgermeister Dan Biancalana (LSAP). Dazu muss man sagen, dass es in Düdelingen ohnehin ein „Light-Verbot“ war, was einzig dem Bürgermeister erlaubt hat, in bestimmten Fällen einen Platzverweis anzuordnen. Betteln sei ein Menschenrecht, so der Bürgermeister. Die Bekämpfung organisierter Bettelbanden, verbunden teils mit Menschenhandel, sei Aufgabe der Polizei und der Justiz, nicht der Gemeindeverantwortlichen. Auch in Diekirch und Ettelbrück gibt es Bettelverbote – und Streit darüber, ob man diese braucht.

11.6.2023: Bei den Lokalwahlen bleibt blau-schwarze Mehrheit bestehen

Am Thema Sicherheit kommt man im hauptstädtischen Wahlkampf nicht vorbei. Mehr Polizei, mehr Überwachungskameras und eben das Bettelverbot – die beiden Mehrheitsparteien machen klar, dass sie an ihrer Linie festhalten wollen. Bestärkt durch ihre Wiederwahl steht danach schnell fest: Die Gemeindeleitung will juristisch gegen die Entscheidung des Innenministeriums vorgehen. 

16.6.2023: DP-CSV besiegelt Gang vor Gericht

In der zweitletzten Sitzung des vorherigen Gemeinderats beschließt die blau-schwarze Mehrheit, vor Gericht Einspruch gegen das Urteil des Innenministeriums einzulegen. Gegenstimmen gibt es von „,déi gréng“, LSAP und „déi Lénk“. Zuvor war am „Knuedler“ zwischen Mehrheit und Opposition wieder eine heftige Diskussion über den Sinn und Unsinn des Bettelverbots entbrannt. Nun wird das Innenministerium die Verteidigung im Rahmen der Prozedur vor dem Verwaltungsgericht organisieren. Laut Prozedur soll dieses dann ein Urteil fällen, gegen das Berufung eingelegt werden kann. Was mehr als ein Jahr dauern kann. Das Dossier dümpelt anschließend mehrere Monate vor sich hin. 

8.10.2023: DP-LSAP-„déi gréng“-Regierung wird abgewählt

Bei den Parlamentswahlen werden die politischen Karten auf nationaler Ebene neu gemischt. CSV und DP gehen als Wahlgewinner hervor und bilden in den darauffolgenden Wochen eine neue Regierung. Schnell wird deutlich: Damit werden auch die Wünsche von Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) und dem damaligen Schöffen Serge Wilmes wahr. Mit der neuen Koalition wird der Grundstein für eine Kehrtwende im Bettelverbot gelegt. 

11.12.2023: Die Kehrtwende ist vollzogen – Léon Gloden (CSV) gibt grünes Licht für Bettelverbot

Lydie Polfer verkündet in der Gemeinderatssitzung, dass der neue Innenminister die Entscheidung seiner Vorgängerin revidiert und einer Änderung der hauptstädtischen Polizeiverordnung zugestimmt hat. „Wir haben heute den Brief mit der Nachricht erhalten, dass der neue Innenminister den Beschluss der Gemeinde anerkennt. Ab morgen wird die Polizeiverordnung ausgehängt und gilt dann ab Freitag.“ Gloden beruft sich gegenüber dem Tageblatt auf Artikel 50 des Dekrets vom 14. Dezember 1789 über die Konstitution der Gemeinden.

Dort heißt es, es sei „Aufgabe der Stadtverwaltung, die Einwohner in den Genuss der Vorteile einer guten Polizeiarbeit kommen zu lassen, insbesondere der Sauberkeit, Gesundheit, Sicherheit und Ruhe in den öffentlichen Straßen, Gebäuden und Gassen“. Glodens Vorgängerin hatte noch geurteilt, dass von der Gemeinde keine konkreten Beweise vorliegen, dass Bettelei negative Konsequenzen auf die öffentliche Sicherheit und Ruhe habe. Gloden sieht das anders: „Die Gemeinde hat genügend Beweise erbracht, dass das Problem real ist.“ In den Augen des neuen CSV-Ministers steht der neue Artikel 42 der Gemeindeverordnung auch nicht im Widerspruch zum Artikel 342 des „Code pénal“. Für seine Entscheidung muss sich der Innenminister wenige Tage später auch vor der zuständigen Kommission und bei einer Aktualitätsstunde im Parlament verantworten. Premierminister Luc Frieden (CSV) und weitere Regierungskollegen stärken dem Innenminister den Rücken. Die Opposition nennt Glodens Entscheidung eine „kalte und herzlose Politik“, Menschenrechtsanwalt Frank Wies sagt im Tageblatt-Interview: „Das ist, als würden Sie jede Form von Geschlechtsverkehr verbieten, um Vergewaltigungen vorzubeugen.“ 

15.12.2023: Bettelverbot tritt in Kraft

Seit Mitte Dezember ist es von 7 bis 22 Uhr in bestimmten Bereichen in der Oberstadt und im Bahnhofsviertel sowie an vielen öffentlichen Plätzen und Parks untersagt, Vorbeigehende um Geld zu bitten. Wer sich nicht daran hält, kann theoretisch Geldstrafen zwischen 25 und 250 Euro kassieren. Von der Gemeinde ausgearbeitete Informationsflyer zur neuen Regelung sollen Klarheit für Betroffene schaffen. Gleichzeitig gibt es unzählige Unklarheiten rund ums Gesetz: Die dürftige Datenlage macht das Nachvollziehen der Effizienz der Maßnahme quasi unmöglich.

Die Polizei soll nach dem Willen der Gemeinde den Unterschied zwischen Bettlern, die für sich, und jenen, die für organisierte Banden arbeiten, machen. Wie genau die Beamten bei den Kontrollen vorgehen sollen, ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig klar. „Auch wenn die einfachen Bettler nicht Ziel der Aktion sind, wird wahrscheinlich der eine oder andere protokolliert werden, wenn ein Vergehen vorliegt“, sagt Marlène Negrini vom „Syndicat national de la Police grand-ducale“ (SNPGL) gegenüber dem Tageblatt. Die Strafanzeige wird dann an die Staatsanwaltschaft weitergereicht. Die analysiert, ob eine Straftat vorliegt und eine Angelegenheit weiter verfolgt wird.

Gleichzeitig braucht es für die Umsetzung der Maßnahme eine größere Polizeipräsenz als bisher. Was den Eindruck erweckt, dass die Einführung der umstrittenen Regelung nur ein Weg für mehr Polizeipräsenz in der Hauptstadt sein soll. „Die Polizei ist zahlenmäßig nicht gut genug aufgestellt, um sich mit allen Verstößen zu beschäftigen, ohne dass dabei andere, wichtige Aufgaben vernachlässigt werden“, erkärt Marlène Negrini in dem Zusammenhang. 

29.12.2023: Vandalismus an Glodens Haus

Innenminister Léon Gloden wird zum Jahresende Opfer von Vandalismus. Sein Haus in Grevenmacher wird mit „Nee zum Heescheverbuedt“ (sic) in roten Lettern beschmiert. „Durch solche Aktionen
ändere ich meine Meinung und mein politisches Handeln nicht“, schreibt er zunächst auf Facebook und nutzt die Gelegenheit wenig später, um Kritik an den Reaktionen auf das Bettelverbot zu üben. „All diese Leute müssen sich fragen, ob sie nicht die Urheber dieser inakzeptablen Aktion gegen meine Familie sind.“ Die Causa Gloden/Tonnar endet mit einer Drohung des ADR-Abgeordneten Tom Weidig an Karikaturist Carlo Schneider. 

15.1.2024: Die Kontrollen werden verschärft

Obwohl es noch Unklarheiten zur Umsetzung gibt, wird Mitte Januar mit den ersten Kontrollen begonnen. Wie genau die Beamten dabei vorgehen sollen, steht immer noch nicht eindeutig fest. Am selben Tag veröffentlicht das Tageblatt ein Interview mit der neuen LSAP-Franktionspräsidentin und Glodens Vorgängerin Taina Bofferding: „Mit seiner ersten Amtshandlung zeigt Herr Gloden ganz klar, dass er eher die Armen bekämpfen möchte, als das Problem an der Wurzel zu packen. Man kennt ja Léon Gloden auch noch als Abgeordneten. Der Platzverweis ging ihm damals nicht weit genug. Er steht schon ganz klar für diese Law-and-Order-Vorgehensweise.“ 

Inzwischen haben Gegner des Bettelverbots eine Unterschriftensammlung initiiert: Die Petition 2991 erreicht innerhalb weniger Tage das für eine öffentliche Debatte nötige Quorum von 4.500 Unterstützern. Petent Marc Faramelli argumentiert in seiner Petition, dass „Betteln ein Teil des Rechtes auf Selbstbestimmung im Sinne der Garantien ist, die in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind“.

17.1.2024: Justiz bezieht erstmals deutlich Stellung – Staatsanwalt Georges Oswald kritisiert Bettelverbot scharf

Die Diskussion rund um das Bettelverbot dreht sich im Kreis – unter anderem wegen einer juristischen Unklarheit im Strafgesetzbuch. Georges Oswald, Staatsanwalt des Bezirksgerichts Luxemburg, weist Mitte Januar auf eine ungeklärte Situation im „Code pénal“ hin, die seit Jahren für Diskussionen sorgt. Denn bei Änderungen des Immigrationsgesetzes im Jahr 2008 wurden unter anderem Textstellen in Bezug auf das Betteln angepasst. Laut Georges Oswald wurde dabei aus „Versehen“ ein Satz im Strafgesetzbuch geändert. Mit dem Ergebnis, dass der bestehende Text nun so interpretiert werden kann, dass – neben dem sogenannten „aggressiven“ Betteln oder jenem in Banden – auch das „einfache“ Betteln untersagt ist. Sein Fazit: Mit der neuen Regelung werde letzten Endes nicht viel erreicht.

Verfassungsexperte Luc Heuschling seziert im Tageblatt-Gespräch die Argumentation von Innenminister Léon Gloden rund um das Bettelverbot. Auch für Heuschling besteht keine legale Basis für die Änderung der hauptstädtischen Polizeiverordnung – er warnt vor ungewollten Folgen der neuen Regelung. Die Klagen zahlreicher Politiker, dass die Abschaffung des Strafbestandes der Bettelei ein ungewollter Irrtum gewesen
sei, lässt der Verfassungsexperte nicht gelten.

„Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn Madame Justizministerin und Madame Bürgermeisterin ihre beiden
Artikel, den Artikel 563 im ‚Code pénal‘ und den Artikel 42 im Gemeindereglement der Stadt Luxemburg, überdenken würden“, sagt Marlène Negrini, Präsidentin der Polizeigewerkschaft SNPGL.

Die Opposition sieht sich durch die Worte des Staatsanwaltes und der Gewerkschaft gestärkt. Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) gibt sich dagegen unbeeindruckt und sagt, dass sie den Text im „Code pénal“ im Gegensatz zum Staatsanwalt anders lese. Und dass „die andere Seite“ die Augen vor einem offensichtlichen Problem verschließe.

„Recht ist keine exakte Wissenschaft“, heißt es von Justizministerin Elisabeth Margue (CSV) wenig später. Für sie habe die Umsetzung des Koalitionsvertrags Priorität. Im Interview schließt sie aber nicht aus, die juristische Unklarheit hinsichtlich der einfachen Bettelei im Rahmen einer umfassenden Reform des „Code pénal“ zu klären. In den Parlamentsausschüssen für Inneres und Justiz wird heftig über das Bettelverbot diskutiert. Doch die Mehrheit von CSV und DP veranlasst, dass weite Teile des Gesprächs nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen. Die Opposition ist empört: „Der Minister und die Mehrheit haben Angst vor der öffentlichen Debatte.“

25.1.2024: Die Zivilgesellschaft setzt sich zur Wehr und gründet „Solidaritéit mat den Heescherten“

Dass seit dem 15. Januar dieses Jahres in der Hauptstadt „eine Jagd auf Bettler“ stattfindet, veranlasst eine Reihe von Bürgern, sich dagegen zur Wehr zu setzen und eine Vereinigung zu gründen. Sie heißt „Solidaritéit mat den Heescherten“. Die Zivilgesellschaft meldet sich somit zu dem umstrittenen Bettelverbot zu Wort. Das Ziel der Vereinigung sei, den Bettlern moralisch zu helfen und sie juristisch zu unterstützen, sagt Mitglied Guy Foetz. Ihnen solle gezeigt werden, dass sie nicht allein sind.

29.1.2024: Erste größere Demonstration gegen das Bettelverbot – Kein Umdenken bei CSV-DP

Mehr als 150 Menschen protestieren vor dem Rathaus in Luxemburg-Stadt, um ihren Unmut gegen das sogenannte Bettelverbot in der Hauptstadt auszudrücken. Wenige Tage später, am „Liichtmëssdag“, findet eine weitere Protestaktion statt. Mehr als 200 Erwachsene haben sich zum gemeinsamen „Liichten“ getroffen, um sich gegen das Bettelverbot starkzumachen.

Bei der Diskussion über den Antrag, der die Streichung des viel diskutierten Artikels 42 der städtischen Polizeiverordnung fordert, gibt die Opposition dem Schöffenrat in Luxemburg-Stadt die Möglichkeit zu einer Kehrwende. Doch die Mehrheit zeigt sich weiter stur. Rat Claude Radoux (DP) nimmt dabei die Argumentation der Justiz ins Visier und sagt über deren Position in der Debatte: „Wenn Vertreter der Staatsanwaltschaft Politik machen wollen, sollen sie sich für die Wahlen aufstellen.“

1.2.2024: Bettelverbot aus einem Guss

Nächster Paukenschlag in der Bettelverbot-Affäre: Innenminister Léon Gloden hat erst einen Monat nach seiner Entscheidung, das Bettelverbot durchzuwinken, eine Anwaltskanzlei damit beauftragt, ein juristisches Gutachten anzufertigen. Im Gutachten, das dem Tageblatt vorliegt, wird der 24. Januar 2024 als das Datum angegeben, an dem die Anfrage des Innenministers einging. Gloden leitete das Gutachten an die Chamber weiter. Die mit dem juristischen Gutachten beauftragte Anwaltskanzlei Thewes&Reuter ist in der Affäre kein unbekannter Akteur. Die Stadt Luxemburg hatte am 14. August 2023 eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen die Entscheidung der damaligen Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) eingelegt, die das geplante Bettelverbot abgelehnt hatte. Diese stammte ebenfalls aus der Feder von Thewes&Reuter.

Kurz danach wird das Gutachten in den Chamber-Kommissionen für Justiz und Inneres debattiert. Die Staatsanwaltschaft bekräftigt ihre Position, dass einfaches Betteln nicht strafbar sei – und wehrt sich gegen die Vorwürfe, sie würde „Politik“ machen. 

2.2.2024: Gloden schickt Polizisten in die Stadt

Polizisten aus anderen Kommissariaten werden in Luxemburg-Stadt in den Einsatz geschickt, in einer ersten Phase bis Ende Februar. Aus allen Regionen des Landes werden sie temporär von ihren Dienststellen abgezogen, um die städtischen Beamten bei ihrer Arbeit zu unterstützen, wie aus Polizeikreisen zu erfahren ist. Grund ist die Unterstützung bei den Kontrollen zum Bettelverbot. Unter anderem aus dem Kommissariat der zweitgrößten Stadt des Landes, Esch, werden Polizisten in die Hauptstadt entsandt. Dies geschieht in einer Zeit, in der viele Dienststellen mit Personalmangel zu kämpfen haben. Anfänglich wird von insgesamt 176 Patrouillen berichtet, Gloden bestreitet später diese Zahl, will aber auch keine weiteren Details nennen. 

7.2.2024: Christian Kmiotek zeigt sich selbst an – wegen Bettelns

Seit Wochen bewegt das Bettelverbot die Gemüter. Juristen, Staatsanwälte und Menschenrechtler haben sich
neben Innen- und Justizministerium bereits zu Wort gemeldet. Dennoch halten sich die Zweifel an dem Verbot und vor allem dessen Umsetzung hartnäckig. Christian Kmiotek will Gewissheit vor Gericht schaffen. Er bettelte und zeigte sich anschließend selbst an. „Wenn das nun vor Gericht kommt, gibt es vielleicht ein solches Urteil und es wäre für uns alle endgültig geklärt“, sagt er. Seine Strafanzeige ist nur eine von zwei. Bettelnde selbst berichten zwar von mehr Kontrollen, zeigen sich aber weitestgehend unbeeindruckt vom Verbot: „Manchmal sind wir der Polizei schnurzegal. Es wurde mir schon gesagt, dass ihnen die Kontrollen selbst unangenehm sind.“

19.2.2024: „Nicht böse gemeint“ – Beissel-Lulling-Video sorgt für Entsetzen

„Ich habe sie immer gefüttert, ich füttere sie dauernd“ – unter anderem diese Aussage von Simone Beissel, Abgeordneten und Schöffin des städtischen Gemeinderats, sorgt im Februar vor allem in den sozialen Medien für Entsetzen. Denn mit „sie“ bezieht sich das Mitglied der DP auf Bettlerinnen und Bettler. Hilfsbedürftigen kauft Beissel laut eigener Aussage oft etwas zu essen, Geld gibt sie ihnen allerdings nie – wie aus einem Gespräch mit Politikerin Astrid Lulling (CSV) Mitte Januar hervorgeht.  Als Teil einer Serie von Videos unter dem Titel „Riicht eraus“ wird das Gespräch aufgezeichnet und bei YouTube veröffentlicht. Für Ungläubigkeit, Kritik oder gar Ekel sorgt laut den Reaktionen in den sozialen Medien unter anderem die Aussage von Simone Beissel, Menschen auf der Straße zu „füttern“. Darauf angesprochen, erklärt die gewählte Volksvertreterin, dass es in ihrem Umfeld momentan ein Baby gibt – das oft gefüttert wird. „Das Wort ist aktuell in meinem Sprachgebrauch drin und im Eifer des Gefechts habe ich es dann verwendet. Ich hätte es in dem Kontext aber nicht nutzen sollen. Wenn Leute das jetzt schlimm finden, muss ich mich dafür entschuldigen“, sagt Simone Beissel auf Tageblatt-Nachfrage und bittet für ihren Ton sowie ihre Wortwahl um Verzeihung.

23.2.2024: Falschinformationen vom Innenminister

Worauf basierte Innenminister Léon Gloden seine Aussage vom 13. Dezember 2023 in einem Interview mit Radio 100,7, dass es Beweise gäbe, dass „große deutsche Limousinen mit belgischen Autokennzeichen“ Menschen in Luxemburg-Stadt herausließen, um zu betteln? Der LSAP-Abgeordnete Georges Engel will in einer parlamentarischen Anfrage mehr darüber erfahren. Wie aus der Antwort herauszulesen ist, gibt es keine Beweise für eine derartige Aussage. Léon Gloden und Justizministerin Elisabeth Margue erklärten nämlich, dass die Justizbehörden keine Kenntnis von konkreten Beweisen für diese Transporte haben, aufgrund derer erste Ermittlungen hätten eingeleitet werden können. Gloden verweist lediglich auf „eine ganze Reihe an Beschwerden von Bürgern, Geschäftsleuten und von Passanten“, die der Stadt Luxemburg vorliegen würden.

5.3.2024: Spannungen bei der DP

Fast ein Jahr ist es her, dass DP und CSV in einer Gemeinderatssitzung für eine Änderung der städtischen Polizeiverordnung stimmten und damit den Weg für das umstrittene Bettelverbot ebneten. Eine Regelung, die zumindest bei einer der beiden dafür verantwortlichen Parteien zunehmend für Spannungen sorgt – wie in der Gemeinderatssitzung Ende Februar 2024 deutlich zu spüren ist. Schöffin Corinne Cahen (DP) schreibt darüber hinaus in den sozialen Medien: „Mir ist es wichtig zu betonen, dass das Bettelverbot nicht auf meinem Mist gewachsen ist und dass ich zu dem Moment noch nicht im Schöffenrat war.“

10.3.2024: Generalstaatsanwältin kritisiert Polizeieinsatz – Unbearbeitete Verbrechen hängen in Warteschleife

Aus den Reihen der Justiz regt sich Unmut über Léon Glodens Polizeiverordnung zur Bekämpfung von mutmaßlich organisierten Bettlerbanden. So fordert Generalstaatsanwältin Martine Solovieff Gloden in einem Brandbrief auf, den Einsatz von spezialisierten Ermittlern bei der Beobachtung von Bettlern zu beenden. „Das Ergebnis ist beeindruckend: Zwei Protokolle sind bei der Staatsanwaltschaft Luxemburg eingegangen, darunter eine Selbstanzeige, die ich nicht kommentieren werde“, zitiert das Luxemburger Wort die Generalstaatsanwältin. Gloden reagiert prompt. Es sei bei den 438 kontrollierten Personen durchaus mehr herausgekommen als zwei juristische Prozeduren. Darüber hinaus hätten die Polizisten fünf „procès-verbaux“ wegen illegalen Glücksspiels erteilt, außerdem zwei weitere wegen organisierter Bettelei, fünf wegen illegaler Migration und 61 Mal sei von einem Platzverweis Gebrauch gemacht worden. Doch er muss auch zugeben, dass bei dem Abziehen der Polizisten in die Hauptstadt Fehler passiert sind.

18.3.2024: „Nun heißt es, der Gloden sei Sicherheitsfanatiker“

Im Tageblatt-Interview nimmt Léon Gloden unter anderem zum Bettelverbot Stellung. „Ich hatte das ehrlich gesagt nicht auf dem Radar. Als ich im Innenministerium angefangen habe, wurde mir besagtes Dossier nach zwei Wochen vorgelegt. Ab diesem Zeitpunkt blieben mir noch zwei Wochen Zeit, um auf den Rekurs der Stadt per Verteidigungsschrift zu antworten. Meine Vorgängerin hatte die Maßnahme annulliert, weil es keine Beweise für solch eine Maßnahme gab. Das hat zu dem Zeitpunkt auch gestimmt. Jedoch hätte sie als Ministerin noch genug Zeit gehabt, auf den Rekurs zu antworten – und das ist nicht passiert. Weil die ,mendicité agressive‘ visiert ist, war für mich klar, dass ich das genehmige. Ich hatte nicht mit der Vehemenz gerechnet und schon gar nicht damit, dass mir jemand die Mauer besprayt und Reifen durchsticht. Ich stelle jedoch fest, dass eine ganz große Mehrheit mir sagt, dass diese Entscheidung die richtige ist“, sagt Gloden. Und: „Es wurde noch kein Bettler, der einfach nur da sitzt, verbalisiert.“