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 Foto: Eldar Emric/AP

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Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) legte 1951 das Fundament für die Europäische Union. Als am 25. März 1957 die Verträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sowie der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) unterzeichnet wurden, war ein durchschlagender Erfolg kaum voraussehbar. Zwar bemühten sich die sechs Gründerstaaten, unter ihnen Luxemburg, eine effiziente Struktur für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zu schaffen, doch hielten sich die Hoffnungen in Grenzen. Dass es der EU trotzdem gelang, bis zu 28 Mitgliedstaaten für ein ehrgeiziges Ziel zu gewinnen, darf getrost als historisches Meisterwerk angesehen werden.

Sieht man einmal von dem bedauerlichen Austritt Großbritanniens am 31. Januar 2020 ab, so haben weitsichtige Politiker in über sechs Jahrzehnten ein bis dato in der europäischen Geschichte nie geschriebenes Kapitel vorgelegt. Immerhin setzte die EU bisher sieben Erweiterungen durch: 1973 (Dänemark, Großbritannien, Irland), 1981 (Griechenland), 1986 (Portugal, Spanien), 1995 (Finnland, Österreich, Schweden), 2004 (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern), 2007 (Bulgarien, Rumänien) und 2013 (Kroatien). Kein anderes Bündnis in Europa konnte jemals eine solche Nachhaltigkeit erreichen. Und nun soll diese noch nicht fertiggestellte Mission auf dem Altar des Populismus und Nationalismus geopfert werden?

Diese Frage kann nur mit einem resoluten Nein beantwortet werden. Im Gegenteil: Die mannigfaltigen Probleme unserer Zeit benötigen mehr Europa. Die EU kann als Steuermann in vielen komplexen Fragen dienen, sei es in der Sicherheits-, Wirtschafts-, Integrations- oder Umweltpolitik. Dazu bedarf es aber mehr äußerer Stärke und weniger interner Konflikte. Verbale Entgleisungen und unzumutbare Alleingänge schaden dem Image der EU. Wenn ein Viktor Orbán mit einem Donald Trump öffentlich flirtet, leidet die Glaubwürdigkeit der Union. Der seine Rolle als Nörgler genießende Ungar sorgt seit 2010 mit der Fidesz-Partei für ständige Unruhe und verfolgt einen zum Teil allen elementaren EU-Werten widersprechenden Kurs. Orbán kann zwar nicht in ein Muster altkommunistischer Doktrin eingestuft werden, doch bewegen sich nicht wenige Entscheidungen seiner Regierung hart an der Grenze zu faschistoidem Aktivismus. Ungarn kann allerdings heute nicht allein mit Orbán assoziiert werden. Bei einer Wahlbeteiligung von 45,6 Prozent anlässlich eines Referendums am 12. April 2003 stimmten immerhin fast 84 Prozent für einen Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union. Ein Staat, der mit Beginn des Kalten Krieges unter der strengen Fuchtel der Sowjetunion stand, schnitt die Nabelschnur zum einstigen Genossen definitiv durch. Ungarn jetzt als EU-Mitgliedstaat auszuschließen, wäre ein Fehler. Auch die Ära Orbán wird sich einmal dem Ende entgegenneigen. Polen hat den Weg vorgezeichnet.

Spätestens der 24. Februar 2022 hat gezeigt, wie anfällig Stabilität und Frieden, auch auf europäischem Boden, sind. Putin lieferte erneut den Beweis, dass Gewalt als Werkzeug benutzt wird, um hegemoniale Bestrebungen durchzusetzen. Sein Regime darf keine Zukunft haben und muss resolut bekämpft werden. Vor allem ist die EU gefordert. Sie benötigt noch zusätzliche Stärke. Viele Länder drängen in die Union. Immerhin neun Kandidaten haben die Ziellinie vor Augen: Albanien, Montenegro, Serbien, Nordmazedonien, Georgien, Ukraine, Moldawien, Türkei und Bosnien-Herzegowina. Außer der Türkei sollten wir ihnen allen jetzt eine Chance geben.

Strenge Beitrittsregeln

Doch ein Beitrittsgesuch muss weiterhin strengen Regeln unterliegen. Die Einhaltung der 1993 festgehaltenen Kopenhagener Kriterien sowie von Artikel 49 des Maastrichter Vertrags darf nicht infrage gestellt werden. Wer sich morgen dem Europäischen Club anschließen möchte, muss zuerst seine Hausaufgaben erledigt haben, sprich rechtsstaatliche Prinzipien respektieren. Außerdem ist eine funktionierende Marktwirtschaft vonnöten. In einigen Ländern stehen also noch manche legislativen Änderungen bevor. Der Objektivität wegen muss aber eingestanden werden, dass sowohl die Ukraine als auch Moldawien von einer aktuellen, emotionalen Gefühlslage profitieren, hat doch der russische Angriff auf die Ukraine und die damit verbundene Gefahr für Moldawien die Beitrittsgesuche beider Länder beschleunigt.

Vor allem die Staaten des Balkans würden eine große Lücke auf der EU-Karte schließen. Bleibt das umstrittene Thema Kosovo. Kurzfristig zeichnet sich keine Einigkeit unter den 27-Mitgliedstaaten ab, um diesem Staat aus dem früheren Jugoslawien die Tür zur EU zu öffnen. Sollte Kosovo den Sprung in den Europarat schaffen, wäre allerdings ein erster wesentlicher Schritt gemacht, gilt doch der Europarat als Vorstufe zur Europäischen Union. Luxemburg steht einem Beitritt Kosovos sowohl zum Europarat als auch zur EU positiv gegenüber.

Doch auch andere Kandidaten führen zu internen Diskussionen. Das Beispiel Nordmazedonien zeigt, wie schwierig Beitrittsverhandlungen sich entwickeln können. Bereits 2004 reichte der kleine Balkanstaat ein Gesuch ein. Erst blockierten Paris und Amsterdam, dann legte sich Griechenland wegen des Namens quer und 2018 zeigte Bulgarien die kalte Schulter. Im Juli 2022 konnten aber schlussendlich die Verhandlungen aufgenommen werden. Ungarn gibt der Ukraine erst eine Chance, wenn Garantien für eine ungarische ethnische Minderheit vorgesehen sind. Alle Beitrittskandidaten müssen zudem ein Zeugnis ablegen, dass sie dem nationalistischen Gedankengut keine Sympathie abgewinnen können. Nationalismus bedeutet das Ende der EU.

Unabhängiger von Importen werden

Die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg brachten es an den Tag: Europa muss unabhängiger von Importen werden. Und die EU hat allen Grund, energischer ihre Unternehmen gegen den Appetit von Drittländern, allen voran China, zu schützen. Das vorhandene Potenzial, Waren in vielen Sektoren selbst herzustellen, muss stärker genutzt werden. Und Europa ist fähig, diesen Weg zu beschreiten. Die aktuelle EU-Kommission ist sich dieser Tatsache bewusst und möchte dementsprechend eine Reihe von Maßnahmen in die Wege leiten. Vor allem in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Halbleiter und Quantencomputer kann die EU Zähne zeigen. Zusätzliche Mitgliedstaaten bedeuten mehr wirtschaftliche Möglichkeiten, vergrößert sich doch der Binnenmarkt und können Produkte hergestellt werden, die heute noch importiert werden müssen. Eine Erweiterung setzt aber ebenfalls eine Reform der EU-Entscheidungsstrukturen voraus. Vor allem darf in verschiedenen politischen Bereichen das Einstimmigkeitsprinzip nicht tabuisiert werden. Dies trifft in erster Linie auf die Außenpolitik zu.

Die Krisen der letzten Jahre zwingen die EU, ihre Zukunft zu überdenken und einige Vorgehensweisen schnell zu ändern, um angemessen auf die neuen Herausforderungen reagieren zu können. Bedingt durch die neue geopolitische Lage sind insbesondere in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik Kursänderungen vonnöten. Die EU ist ein Erfolgsmodell, das regelmäßig angepasst werden muss. Zusätzliche Mitgliedstaaten können diesem Modell noch festere Füße verleihen.

Gusty Graas, DP
Gusty Graas, DP Chambre des Députés
fraulein smilla
19. April 2024 - 14.05

Nach dem britischen Historiker Paul Kennedy blueht der EU das Schicksal aller multinationalen Staaten -Aufstieg ,Ueberdehnung ,Erschoepfung ,Abstieg .