Covid-19Ein Stadtviertel im Zeichen des Coronavirus: Bonneweg

Covid-19 / Ein Stadtviertel im Zeichen des Coronavirus: Bonneweg
Menschenleer: Bonneweg, gestern am frühen Abend Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Wer jetzt eine Stadt, ein Stadtviertel, eine Gegend in Luxemburg beschreibt, der muss damit rechnen, dass am nächsten Tag schon seine Beschreibung überholt ist – das Bild kann durch das Coronavirus schnell ändern. Nichts scheint mehr Bestand zu haben. Eine alte Epoche ist am Untergehen. Die neue Epoche hat sich noch nicht abgezeichnet. Sie hat noch keine Identität, niemand kann ihr einen Namen geben, ihr ein bestimmtes Gesicht abnötigen. Es ist eine Epoche im Zeichen eines unsichtbaren Feindes, den wir Corona nennen. Ein Virus, das sich zur Pandemie entwickelt hat.

Die Coronavirus-Pandemie ist ein gewaltiger Test für unsere Gesellschaft. Die Chamber hat am 21. März mit Artikel 32.4 der Verfassung geschlossen für die Verlängerung des „état de crise“ gestimmt. Dieser gilt für drei Monate und kann verlängert werden. Der von Premierminister Xavier Bettel (DP) am Dienstag, 17. März, ausgerufene nationale Notstand galt zunächst nur für zehn Tage.

Bonneweg, wie alle anderen Orte in Luxemburg auch, ist zu einem Stadtviertel geworden, wo Schulen, Kindergärten, Gaststätten und Restaurants geschlossen bleiben. Ausgenommen sind Lebensmittelgeschäfte und die Apotheke. Banken können nur telefonisch kontaktiert werden. Die Supermärkte und der Bio-Laden in Bonneweg profitieren von der Corona-Krise. Viele Menschen machen Hamsterkäufe.

Ein Stadtviertel, in dem sich Gegensätze die Waage halten

Dienstagmorgen auf dem Weg zum Bäcker und zum Bioladen. Es ist ein Tag, an dem sich die Menschen draußen viel aufmerksamer wahrnehmen. Auch im Bioladen schaut manchmal einer skeptischer, aber oft auch mit viel mehr Lächeln als noch vor einer Woche. Am Vorplatz der Kirche um kurz vor 11.00 Uhr stehen zwei Obdachlose und gehen weiter, weil nichts los ist. Die Kirche schlägt elf, die Sonne scheint und es wird wieder kälter, nirgendwo ein Mensch. Auf dem Weg nach Hause treffe ich dann doch einen Menschen. Ein Drogenabhängiger kommt auf mich zu und bittet um ein Almosen. Der Mann ist knapp 20 Jahre alt. Immer wieder hört man: Auch die Drogenabhängigen im Stadtviertel zählen zu den schutzbedürftigen Personen. Für sie ist das Virus eine ernste Sache. Wir kommen ins Gespräch.

Von Weitem mag es aussehen, als sei alles normal. Aber nichts sei mehr normal, sagt er. „Ganz und gar nicht. Die Angst vor dem Virus nimmt man dabei einfach mit in Kauf. Nur dann, wenn du denkst, du hast es geschafft, läuft plötzlich die Sache aus dem Ruder. Kehle und Magen schnüren sich zu, du hast Fieber, der Mund wird trocken, die Augen werden nass und das Virus hat dich erwischt. Ich habe so eine Angst, dass wir verlieren“, sagt er. Seit zwei Jahren hängt er an der Nadel. Ich verabschiede mich, wünsche ihm viel Glück und gebe ihm etwas Geld mit der Hoffnung, er wird es gut gebrauchen können.

In einer so rapid ändernden Welt sind unmittelbares Handeln und Solidarität von enormer Wichtigkeit. Jetzt geht es um direkte Lebensgefahr, wo ohne langes Zögern anderen Mitmenschen geholfen werden muss. An wen ich in diesen Tagen besonders denke: Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte, die in Bonneweg leben. Ich denke aber auch an all jene, die nicht dort leben und in irgendeiner Form anderen Menschen in dieser kritischen Situation helfen. Manche von ihnen vertreten eine Sache, die größer ist als sie selbst. Sie tun etwas Außergewöhnliches, gehen zum Beispiel für ältere Menschen einkaufen. Eine echte Solidarität hat sich zwischen Alt und Jung gebildet. Da die Bäckerei kein Bargeld mehr annimmt und manche keine Kreditkarte haben, bezahlen Menschen aus Solidaritätsgründen anderen Menschen ihr Brot mit ihrer Kreditkarte.

Das ist aber noch nicht alles. Manche müssen nicht nur Außergewöhnliches tun, sondern etwas, mit dem wir uns irgendwie identifizieren können: Sanitäter, Polizisten, Zöllner, Feuerwehrmänner. Egoismus ist nicht ihre Privatangelegenheit. Aber auch Supermarktkassiererinnen. Auch sie sind die Helden dieses seltsamen Alltags. Auch sie tun etwas für die Gesellschaft. Wir dürfen stolz sein, dass wir in Luxemburg solche Mitmenschen haben! Von ihnen kann man eigentlich nie genug haben. Es gibt aber auch andere Mitbürger. Sie sind „Egoisten“, so hört man auch – oder: „Wer so süchtig nach Klopapier ist und somit die Grenzen zum Einkaufen nicht mehr zu sehen vermag, kann kein Held sein.“

Mit einem Schal vermummt begegne ich einem Bekannten, der eine leichte Maske gegen das Coronavirus trägt. Auf zwei Meter Distanz reden wir über den Ausnahmezustand in Luxemburg. Die „Chamber“ hat dem Ausnahmezustand zwar zugestimmt, sagt er, aber darum geht es ihm jetzt nicht. Er hat schon lange kein Vertrauen mehr in die Politik. Es gehe ihm um die Rechte und Freiheiten, die er als Luxemburger habe und behalten wolle. Presse- und Meinungsfreiheit zum Beispiel, Zivilgesellschaft. Er hat einfach Angst und befürchtet, dass der Einfluss der Regierung wachsen könnte. Er wolle seinen Kindern ein gutes Leben garantieren, Demokratie, Freiheit und die Möglichkeit, so zu leben, wie sie wollen. „Ganz ehrlich“, sagt er dann zum Schluss, „das Land ist in Panik. Allein deswegen ist schon nichts mehr normal.“ Nichtwissen, Halbwissen und Gutgläubigkeit seien die unermüdlichen Feinde gesicherter Erkenntnisse. Nur so sei es zu erklären, dass sich viele von Fake News überzeugen lassen.

Um die Belastung des Gesundheitssystems so gering wie möglich zu halten und die Versorgung schwerkranker Patienten sicherzustellen, ist es wichtig, dass die Ausbreitung von Corona so langsam wie möglich erfolgt. Im ganzen Land und auch in Bonneweg. Jeder sollte daher die wichtigsten und effektivsten Schutzmaßnahmen berücksichtigen. 

Autos ja, Menschen nein
Autos ja, Menschen nein Foto: Editpress/Didier Sylvestre
Leila
28. März 2020 - 18.12

Bonneweg war früher das Eisenbahnerviertel, etwas spießig aber nett und sauber, mit vielen Läden und Annehmlichkeiten! Heutzutage möchte ich nicht dort leben müssen. Es ist seltsam, wie krass sich das Viertel verändert hat! Schade drum!

Aris
28. März 2020 - 15.42

Man, bin ich froh aus diesem Ghetto weggezogen zu sein !!!!!!!

Cornichon
28. März 2020 - 0.59

Wie wär's mit Epoche der natürlichen Launen und menschlichen Unvernunft