PolitologinNatascha Strobl über Rechtsextremismus, radikalisierte Konservative – und mögliche Gegenstrategien

Politologin / Natascha Strobl über Rechtsextremismus, radikalisierte Konservative – und mögliche Gegenstrategien
„Ich möchte sie besser kennen als sie sich selbst“: Seit mehr als zehn Jahren befasst sich die Wiener Politologin und Buchautorin Natascha Strobl mit dem Rechtsextremismus, seinen Methoden und wie diese auf Konservative abfärben Foto: Editpress/Armand Back

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Wer auf Twitter/X unterwegs ist, dem dürfte der Name Natascha Strobl ein Begriff sein. Mehr als 180.000 Menschen folgen dort der Politologin und Buchautorin. Am Freitag ist die Expertin für Rechtsextremismus für eine Diskussionsrunde zu Gast in Luxemburg. Das Tageblatt traf die Wienerin im Vorfeld zu einem Gespräch in ihrer Heimatstadt.

Wir treffen Natascha Strobl am Rande von Wien in einer Konditorei an der Endstation einer der fünf U-Bahn-Linien der österreichischen Hauptstadt. Die 39-jährige Politikwissenschaftlerin ist vorsichtig geworden. Wenn sie sich draußen bewegt, ist sie selten alleine unterwegs. Seit Jahren seziert die Frau, der auf X/Twitter mehr als 180.000 Menschen folgen, die Strategien und Methoden der extremen Rechten. Das hat sie zur Zielscheibe gemacht. Strobl macht trotzdem weiter. „Wir haben keine Zeit für Fatalismus“, sagt die Wienerin, die mit ihrem Buch „Radikalisierter Konservatismus“ einen Bestseller landete, „wir müssen alle unseren Teil tun und das jetzt umdrehen“.

Am Freitag wird Natascha Strobl auf Einladung der „Fondation Robert Krieps“ in Luxemburg sein. Mit der luxemburgischen Politologin und Expertin für die extreme Rechte, Léonie De Jonge, und dem Historiker Denis Scuto wird Strobl im Kasemattentheater über radikalisierte Konservative, Kulturkampf und Rechtsextremismus sowie Methoden und Gegenstrategien diskutieren.

Tageblatt: Seit mehr als zehn Jahren erforschen Sie den Rechtsextremismus, stellen Methoden und Strategien bloß und prangern, wenn es sein muss, auch an. Sie müssen mit Anfeindungen und Bedrohungen leben. Woher stammt Ihr Interesse für den Rechtsextremismus? Oder anders gefragt: Warum tun Sie sich das an?

Natascha Strobl: Das Thema hat eigentlich mich gefunden, nicht ich das Thema. Als ich noch studiert habe, hat sich an meiner Universität in Wien die rechtsextreme Identitäre Bewegung gegründet. Über Nacht wurden im ganzen Institut Sticker geklebt. Professoren und Professorinnen bekamen Drohbriefe. Ich habe alles eingesammelt, in Mappen gegeben und das zum ersten Mal systematisch untersucht. Das war vor mittlerweile zwölf Jahren. Seitdem habe ich nicht mehr losgelassen. Ich möchte sie besser kennen als sie sich selbst und nie einen Schritt verpassen, den sie gehen.

Sie wurden früh angefeindet wegen Ihrer Arbeit, wann fing das an?

Die Reaktionen kamen sehr schnell. Ich habe das am Anfang komplett unterschätzt. Zu dritt hatten wir ein Buch über die Identitären geschrieben. Kurz nach der Veröffentlichung schoss man mir mit einem Luftdruckgewehr das Fenster ein. Dann störten die Identitären meinen ersten Vortrag. Ab da wusste ich: Okay, das ist jetzt doch anders, als ich mir das gedacht hatte.

Das hat sich nicht geändert, im Gegenteil. Die Freiheitliche Partei Österreichs, die rechte FPÖ, hat vergangenes Jahr eine parlamentarische Anfrage an mehrere Ministerien gestellt, wer Ihnen oder jemandem aus Ihrem Umfeld wie viel Geld zukommen hat lassen. Am Ende waren es rund 150 Euro Zuschuss für die Zugreise einer Freundin. AfD-Politikerin Alice Weidel hat Sie vor wenigen Tagen auf Twitter wegen eines Auftritts in München angefeindet. Was macht das mit Ihnen?

Es gibt ein Grundrauschen an Mails und Nachrichten. Aber wenn Alice Weidel so etwas twittert, sind die Nachrichten darunter natürlich ein Wahnsinn. Das geht von Drohungen und Herabwürdigungen bis zu sexualisierten Beschimpfungen. Mittlerweile kann ich besser damit umgehen. Aber die ganz heftigen Sachen, wenn es gegen meine Kinder geht, gegen meine Familie, sind immer noch hart. Dieser Schwall ist mal mehr, mal weniger konstant da. Bei dieser FPÖ-Anfrage vor einem halben Jahr war das nicht anders. Dann ist der Mob angestachelt – und ich muss mit dem Verfassungsschutz reden, der in solchen Fällen eine Sicherheitseinschätzung macht, also zu mir nach Hause kommt und schaut, bei welchem Fenster jemand eindringen könnte oder welche Tür verstärkt werden müsste. Das sind dann konkrete Folgen für das eigene Leben. So hoffen sie, Leute wie mich aus der Öffentlichkeit vertreiben zu können.

In einem Ihrer Bücher schreiben Sie von „radikalisierten Konservativen“, die versuchen, mit rechten Methoden Wählerstimmen zurückzugewinnen. Wen meinen Sie damit?

Meine Beobachtung vor einigen Jahren war, dass konservative Parteien so reden, wie früher die extreme Rechte geredet hat, und das hat mich verwundert. Ich habe das in meinem Land gemerkt, als die ÖVP auf einmal begonnen hat, die Positionen der FPÖ zu übernehmen. Ich habe das gesehen in Ungarn unter Viktor Orban. Ich habe es bei den Republikanern unter Donald Trump gesehen und auch bei den Tories in England. In Teilen des Konservatismus gibt es diese Radikalisierung nach rechts – und die Strategie dahinter, wie sie die Methoden der Rechten übernehmen, wollte ich beschreiben.

Wenn die EVP jetzt diesen Weg des Ruanda-Modells in der Migration geht und völlig den Boden von Asyl- und Menschenrechten verlässt, ist das auf jeden Fall eine Abgleitfläche in Richtung Radikalisierung

Ist das ein bloßes Kopieren von Methoden oder auch eine Frage der Überzeugung?

Teile der Konservativen glauben das wirklich. Für das Resultat ist es zudem egal, ob es zynisches Kalkül oder echte Überzeugung ist. Auf jeden Fall ist es eine Strategie: Wenn das bei denen funktioniert, funktioniert es bei uns auch. Die Sache ist nur, wenn zwei Parteien dasselbe machen, passiert nicht dasselbe. Es ist ein Unterschied, ob rechtsextreme Parteien so auftreten oder solche Inhalte vermitteln oder ob das eine Volkspartei tut, die mit ihren Vorfeldorganisationen bis tief in die Gesellschaft vordringt. Die Wirkung ist eine ganz andere.

Bald sind Europawahlen und die Christdemokraten der EVP plädieren in ihrem Wahlprogramm in der Migrationsfrage für das Ruanda-Modell, das die Briten gerade gegen die Justiz durchboxen. Eine solche Politik haben lange Zeit nur Rechte gefordert. Sehen Sie das als Teil dieser Strategie?

In der Asylfrage auf jeden Fall. Das war immer das Vehikel, das hat man gesehen in Großbritannien mit dem Brexit und in den USA mit Trumps „Build the Wall“. Wenn die EVP jetzt diesen Weg geht und völlig den Boden von Asyl- und Menschenrechten verlässt, ist es auf jeden Fall eine Abgleitfläche in Richtung Radikalisierung. Die christlich-sozialen Parteien sind nach wie vor sehr divers, aber die Frage ist, wo das alles hinführt. Wenn Konservative rechte Ideen kopieren, profitieren zudem meistens nicht sie selbst davon. Ich bin demnach gespannt, ob und wer sich da dagegen wehrt.

Warum gelingt anderen Parteien, allen voran den Sozialdemokraten, kein erfolgreiches Gegenmodell?

Man hat es jetzt in Österreich wieder gesehen. Sehr überraschend haben in dem sehr bürgerlichen Bundesland Salzburg die Kommunisten die Wahl gewonnen – indem sie das Wohnen und Leben in Salzburg glaubwürdig zu ihrer Kernpolitik erklärten. Die Leute dort wollen leben können, günstige Mieten, schöne Wohnungen – und sobald du über das sprichst, ist die extreme Rechte raus aus dem Spiel. Da kannst du keinen Kulturkampf betreiben. Sobald ich über Schnitzel rede oder darüber, ob der Nikolaus in den Kindergarten kommt oder nicht, lade ich die extreme Rechte ein. Wenn wir über Inflation oder unser Gesundheitssystem reden, darüber, wie wir arbeiten und leben wollen, ist die extreme Rechte raus, weil sie keine Antworten auf diese Fragen hat. Das wäre meines Erachtens der Weg für die Sozialdemokratie.

Das Diskutieren wird aber immer komplizierter. Es scheint kaum mehr harmlose Themen zu geben. Migration war und ist ein Reizthema, klar. Aber seit der Pandemie ist auch die Gesundheit ein Reizthema. Wegen des Klimawandels ist oft auch das Wetter eines. Wie erklären Sie sich, dass auch auf solchen Themen Kulturkampf betrieben wird?

Es gibt diese Kohäsion in der Gesellschaft nicht mehr. Zuerst traf es die Sozialwissenschaftlerinnen – mit der Frage, ob das überhaupt noch eine richtige Wissenschaft ist. Vor zehn Jahren die Erziehungswissenschaften mit der Frage, ob man Kinder noch über Sexualität aufklären sollte. Damals sagte jeder, das treffe nur jene, die sich mit solchen Randgruppenthemen befassen. Aber mittlerweile hat es die Naturwissenschaften erreicht. Es hat die Medizinerinnen und die Virologinnen getroffen. Physik und Chemie werden inzwischen infrage gestellt. Das heißt: Niemand ist mehr sicher, die Wissenschaft wird als Ganzes angegriffen. Es ist ein Zeichen, dass irgendwas zerbricht in der Gesellschaft.

Ab wann wird es für eine Gesellschaft richtig gefährlich, wo ziehen Sie die rote Linie?

Die Justiz ist die letzte Linie der Demokratie. Wenn eine Regierung die Justiz eingreift, auch diskursiv, damit ein Teil der Justiz Ruhe gibt, ist das ist die schrillste Alarmglocke, die läuten kann. Dasselbe gilt für Angriffe auf das Parlament. Die Exekutive muss ihren Platz kennen. Wenn sie den nicht kennt, ist man strukturell unterwegs in ein autoritäres System.

Rechte Parteien zeichnen ein permanentes Bedrohungsszenario auf. Was macht das mit ihren Wählerinnen und Wählern?

Sie sind permanent in einem Angstzustand, in Aufregung, in einer Beklemmung: Alle wollen mir was Schlechtes, ich bin dauernd in Gefahr – das ist nicht gut und sehr, sehr zynisch, so überwältigend mit Leuten umzugehen. Es zeigt, dass man kein Interesse an Menschen hat und sie nur als Mittel zum Zweck sieht. Das Versprechen, dass man zur Ruhe kommen kann, dass es einem gut gehen kann, ist ein viel besseres. Bei Veranstaltungen frage ich oft Menschen, wie sie sich die Welt in fünf Jahren wünschen. Was meinen Sie, dass Sie antworten?

Politik muss, um gegen rechts erfolgreich zu sein, den Fokus verschieben – weg vom Schnitzel und der Ökodiktatur hin zu den Fragen, die den Menschen wirklich wichtig sind

Immer dasselbe?

Sie sagen auf jeden Fall nie, der größte Traum in ihrem Leben bestehe darin, dass Leute abgeschoben werden, sie im Gefängnis sitzen und es ihnen schlecht geht. Sie sagen: Ich möchte gesund sein, ich möchte keine Sorgen haben, ich möchte mir mein Leben leisten können und ich möchte eine Wohnung haben, ich möchte einen Job haben, ich möchte Zeit. Zeit ist ein wichtiger Faktor, Zeit mit den Kindern, der Familie, den Freunden. Das sind vernünftige, normale Wünsche. Wie ich vorhin schon sagte, Politik muss, um gegen rechts erfolgreich zu sein, den Fokus verschieben – weg vom Schnitzel und der Ökodiktatur hin zu den Fragen, die den Menschen wirklich wichtig sind.

Zur Person

Natascha Strobl, geboren 1985 in Wien, ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Sie schreibt unter anderem für die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung. Ihr Buch „Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse“ war ein Bestseller und wurde 2021 mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch (Anerkennungspreis) ausgezeichnet. In ihrem neuen Buch „Kulturkampfkunst“, das am 15. Juli erscheint, zeichnet Natascha Strobl die Geschichte der großen Verkulturkampfisierung nach. Sie analysiert, warum diese Strategie für konservative und rechte Parteien so attraktiv ist; außerdem präsentiert sie Ratschläge für den Umgang damit: Wann ist es sinnvoll, nicht über das Stöckchen zu springen? Und wann muss man widersprechen, damit menschenfeindliche Haltungen nicht Normalität werden?

In den USA könnte Donald Trump erneut gewählt werden. Dabei ist es erst etwas mehr als drei Jahre her, dass er zum Sturm auf das Kapitol geblasen hat. Raubt Ihnen das nicht die Hoffnung auf Besserung?

Ich sehe, dass es ernst ist, weltweit. Wenn ein großer Teil der Bevölkerung so in diesem Wahndenken drin ist, wie das in den USA der Fall ist, gibt es irgendwann diesen Kipppunkt. Dann sind die Leute zu verhetzt, und du kannst sie nicht mehr in die Gesellschaft zurückholen. Ich glaube nicht, dass dieser Punkt schon erreicht ist. Ich glaube aber auch nicht, dass es 50 Prozent der Leute sein müssen, um an diesen Punkt zu gelangen. Vielleicht reichen 15, 20, 25 Prozent, die nicht mehr kompatibel mit einer Demokratie sind, dass eine ganze Gesellschaft kippt. Weil der Rest eingeschüchtert ist, leise bleibt, sich wegdrückt, wenn er das kann, oder das Land verlässt.

Was lässt sich dagegen tun?

Wir müssen diese gesellschaftliche Kohäsion, diesen Zusammenhalt aufrechterhalten, und ich glaube auch, dass das passiert. Ganz viele Leute ergeben sich nicht einfach. Es kann sein, dass sie noch nicht so sichtbar sind. Aber es gibt zahllose kleine und auch große Gruppen, die in ganz unterschiedlichen Themenarten, von der Klimakrise über die Abholzung des Regenwaldes bis zu den Frauenrechten, aktiv sind und gegensteuern. In Deutschland haben wir riesige Demonstrationen gegen rechts und für Demokratie gesehen. All das sollte uns Hoffnung geben. Wir haben keine Zeit für Fatalismus oder Zynismus oder Defätismus. Wir müssen alle unseren Teil tun und das jetzt umdrehen. Das sind wir allen, die schon jetzt dagegen kämpfen, schuldig. Und ich glaube auch, dass das erfolgreich sein kann.