„#MeToo“ – jetzt auch in Indien

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Die #MeToo-Kampagne hat in Indien einen Nerv getroffen. Wohl in keinem anderen Land der Welt gibt es mehr Frauen, die nach den öffentlichen Vorwürfen sexueller Vergehen gegen US-Prominente wie Harvey Weinstein Grund haben, sich in sozialen Medien zu Wort zu melden und „ich auch“ zu sagen. Das liegt nicht nur an der riesigen Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen, sondern auch an dem großen Problem sexueller Gewalt gegen Frauen in Indien.

In wenigen Wochen jährt sich zum fünften Mal die tödliche Gruppenvergewaltigung einer Studentin in der Hauptstadt Neu Delhi, die eine Welle von Demonstrationen und schärfere Gesetze nach sich zog. Die Lage hat sich seitdem nicht deutlich gebessert. Mindestens einmal pro Woche berichten die Medien über einen neuen, furchtbaren Vergewaltigungsfall. Oft sind die Opfer Minderjährige.

Wie verbreitet hier auch sexuelle Belästigung ist, zeigte sich in den vergangenen Wochen in Sozialen Medien, nachdem Frauen in den USA begannen, mit dem Hashtag #MeToo von solchen Erlebnissen zu berichten. „Die #MeToo-Kampagne ist nur wenige Stunden nach ihrem Start in den USA in Indien aufgegriffen worden“, sagt die Gründerin der feministischen Organisation KrantiKali, Bhani Rachel Bali, der Deutschen Presse-Agentur. „Zum ersten Mal werden hier soziale Medien als Ventil genutzt, um zu erzählen, was man durchgemacht hat.“

Zur „Neckerei“ verniedlicht

„#MeToo Wirklich? Ist das überhaupt eine Frage?“, schreibt eine Facebook-Nutzerzin. „In Bussen, auf Flügen, in Worten und Taten. Leute, die du für Freunde hieltst, Onkel, die wollten, dass du auf ihrem Schoß sitzt. Männer, die sich vorstellten, du seist verfügbar, weil du Single bist. Oh ja, #MeToo“.

In einer Umfrage der Anwaltsvereinigung Indian National Bar Association erklärten mehr als zwei Drittel der befragten Frauen, die Opfer von Belästigung am Arbeitsplatz geworden waren, dies nie zur Sprache gebracht zu haben. „Überraschenderweise wissen selbst gebildete Leute nicht, was sexuelle Belästigung ist“, sagt der Chef der Organisation, Kaviraj Singh. „Vulgäre Bemerkungen, Ausbeutung, psychische Belästigung – in Südasien euphemistisch „eve teasing“ (etwa: Eva-Neckerei) genannt – werden in der Gesellschaft toleriert.“

Studie: Mehrzahl aller Kinder betroffen

Im Jahr 2015 wurden laut einer offiziellen Statistik mehr als 34.000 Vergewaltigungen in Indien gezählt. An der Bevölkerungszahl gemessen ist das eine deutlich niedrigere Rate als etwa in Deutschland. Experten vermuten aber eine sehr hohe Dunkelziffer. In einer staatlichen Studie von 2007 gaben 53 Prozent von 12.000 befragten Kindern an, sexuell missbraucht worden zu sein.

Ein wichtiger Grund, warum die Taten selten angezeigt werden, besteht darin, dass die Opfer häufig von Polizei und Justiz nicht ernstgenommen werden. Im September hob ein Gericht die Verurteilung eines Bollywood-Regisseurs wegen Vergewaltigung mit der Begründung auf, das Opfer habe nicht mit genug Nachdruck „nein“ gesagt. „Ein schwaches „Nein“ kann „ja“ bedeuten“, schrieb der Richter.

Opfer werden stigmatisiert

Hinzu kommt das Stigma, das Opfern sexueller Gewalt anhaftet. „In der hindustanischen Sprache wird Vergewaltigung „izzat lootna“ genannt – das Rauben der Würde“, schrieb die Schauspielerin Richa Chadha vor wenigen Wochen auf Facebook. „Was glaubt ihr, was passiert, wenn solche Vorurteile in der Gesellschaft existieren – wird es einfacher oder schwerer, ein Geschlechtsverbrechen anzuzeigen?“

Dass diese Gespräche nun über Soziale Medien in der Öffentlichkeit geführt werden, zeigt nach Ansicht von Bali positive Wirkung. „Die Männer in Indien waren schockiert und haben sich entschuldigt. Sie hatten keine Ahnung, wie weit verbreitet die Gewalt gegen Frauen ist“, sagt sie. Es sei das erste Mal, dass indische Frauen in einer nicht organisierten Kampagne zusammen hervorgetreten seien. „Man bekommt ein starkes Gefühl der Schwesternschaft.“