PhilosophieInterview mit Nora Schleich: Kann KI Kunst?

Philosophie / Interview mit Nora Schleich: Kann KI Kunst?
Die Luxemburger Philosophin Nora Schleich warf anlässlich ihrer Konferenz grundlegende Fragen zu künstlicher Intelligenz und Kunst auf Fotos: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Nora Schleich hielt vergangene Woche im Casino in Luxemburg-Stadt die Konferenz „KI an Konscht“ ab. In Anbetracht der zunehmenden Bedeutung von Digitalisierung in sämtlichen Bereichen des Alltags illustrierte die luxemburgische Philosophin die Gefahren und das Potenzial „einer superperformanten Technologie“ anhand zahlreicher Beispiele und warf grundlegende Fragen auf. Unter anderem: Kann eine künstliche Intelligenz überhaupt Kunst schaffen? Und was setzt den Kunstbegriff eigentlich voraus?

Tageblatt: Was hat Sie dazu bewegt, Philosophie zu studieren?

Nora Schleich: Ich bin ganz klassisch im „Lycée“ zur Philosophie gekommen. Sie hat mich sehr fasziniert, weil wir ganz andere Texte und Themen behandelt haben als in den restlichen Fächern. Der Unterricht war wesentlich offener, aber auch viel komplexer. Ich war immer begeistert vom Fach an sich, aber ich hatte damals nicht ausreichend Zeit, um mich nur mit Philosophie zu beschäftigen. Nach dem Schulabschluss habe ich mit dem Bachelor in Philosophie an der Universität Luxemburg angefangen und das war wirklich genau das Richtige. Es war nicht immer einfach, aber mein Interesse ist immer größer geworden.

Welche Bereiche interessieren Sie am meisten in der Philosophie?

Ich habe den Deutschen Idealismus studiert, vor allem Immanuel Kant. Ich bin aber auch sehr viel mit Schopenhauer unterwegs, also am Rande des Idealismus, schon eher bei der deutschen Klassik. Dann aber auch die Existenzphilosophen, wie Kierkegaard, Sartre und De Beauvoir. Ich interessiere mich im Großen und Ganzen für die Frage, wie wir unsere Welt verstehen. Und welche Bedingungen dazu gehören, dass man sich seine Welt schnell selbst konstruiert, statt dass man versucht, eine objektive Welt zu finden. Narrative und Ideologien sowie die kritische Theorie von Adorno und von Horkheimer faszinieren mich auch sehr. Das sind alles Themen, die am Anfang nicht wirklich zusammenhängend erscheinen, aber eigentlich sehr viel miteinander zu tun haben. Generell sind es die Abhängigkeitsverhältnisse und -strukturen, die wir uns eigens schaffen, die mich interessieren. Wie kann man diese freiwillige Unterwerfung unter Systeme, Denkweisen, Illusionen verstehen? Was wirkt auf den Menschen – und wie wird seine Wirksamkeit bedingt? Daran knüpft thematisch auch das Feld der Ästhetik an. Ich habe meine drei größeren Abschlussarbeiten zu Themen geschrieben, die mit der philosophischen Ästhetik und dem Weltbezug des Menschen zu tun haben.

Sie haben vergangene Woche die Konferenz „KI an Konscht“ abgehalten. Wann ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, künstliche Intelligenz in der Kunst einzusetzen?

Vielleicht müsste ich darauf philosophisch antworten und fragen: Was ist überhaupt sinnvoll? Es gibt Dinge, die praktisch sind, und welche, die Sinn machen. Das sind aber eigentlich zwei verschiedene Sachen. Ergibt es Sinn für den Künstler, zu versuchen, mithilfe einer KI-Software Inspiration zu kriegen? Man kann diese Frage mit Ja beantworten, weil man auf Ideen kommen kann, die man vorher nicht hatte. Man kann aber auch dagegen einwenden, dass man Verantwortung oder Geisteskraft abgibt. Ich weiß also nicht, ob ich mir anmaßen kann, das zu beurteilen. Aber ich denke, begrenzend darf man in der Kunst auch nicht wirken. Und wenn wir mithilfe von KI Grenzen erweitern können, dann finde ich es schon sinnvoll. Wenn ich aber merke, dass ich dadurch Fantasie verliere, dann finde ich es eher trügerisch.

Apropos trügerisch: Es gibt mittlerweile viele gefälschte Bilder, die mithilfe von KI generiert werden. Wie kann man sich am besten dagegen schützen? Kann man das überhaupt?

Ich denke, dass die Technologie in der Tat irgendwann so performant sein wird, dass wir nicht mehr unterscheiden können, ob ein Bild von einer KI generiert wurde oder nicht. Momentan kann man das noch, weil man ein wenig erkennt, wie die Systeme funktionieren und hier und da etwas komisch an einem Bild ist. Ich denke, der größte Schutz besteht aber darin, zu wissen, wie diese Programme funktionieren, und darauf zu bestehen, dass man nicht dauernd von KI-Kunst umgeben sein will. Wenn wir uns irgendwann gelangweilt von KI-generierten Bildern zeigen, dann wird es auch langweilig, sie zu produzieren. Dann können wir wieder mehr Raum für etwas Selbstgemachtes schaffen. Also ich denke, dass sowohl Wissen als auch ein aktives Infragestellen, ob wir KI-Bilder brauchen, der beste Schutz dagegen sind.

Mittlerweile gibt es einige Softwares, die es ermöglichen, Bilder mithilfe von KI zu generieren. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Es ist wirklich interessant zu sehen, wie performant diese Softwares sind. Aber wissend, dass diese Bilder nur etwas von einem Programm Geschaffenes sind, ziehen sie mich eigentlich nicht an. Es ist mittlerweile eher lästig, dass diese Softwares überall genutzt werden, und ich finde es ein wenig schade. Ich benutze sie manchmal auch zum Spaß, um auszuprobieren, was man alles damit machen kann. Und manchmal, wenn man etwas ganz Einfaches, Banales braucht, um etwas zu illustrieren, denke ich mir: Okay, why not? Aber auch da sollte man sich fragen: Wann ist es sinnvoll? Ich schaue mir trotzdem lieber Bilder oder Kunstwerke an, die menschengemacht sind und sich mit der Lebenswelt mehr verschränken als etwas, das nur durch Scrollen schnell auf Instagram gezeigt werden kann.

Im „Luxemburger Wort“ gab es vergangene Woche einen Artikel über das erste Buch, das in Luxemburg mit KI geschrieben wurde. Der Verfasser des Artikels nimmt unter anderem folgende Stellung: „KI ist eine Software. Sie hat keine Identität, auch keine eigenen Absichten und Gefühle. Sie kann nicht über Dinge nachdenken und deshalb auch keine Kunst schaffen.“ Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Ich würde dazu neigen, dem zuzustimmen. Ich muss mir dann kurz die Frage erlauben: Was ist eigentlich Kunst? Hat sie nicht auch mit Gefühl und Ausdruck zu tun? Eine KI kann für mich ganz sicher keine Emotionen und kein Bewusstsein haben. Warum? Um eine Emotion zu haben – im Sinne wie wir Emotionen verstehen –, braucht es einen menschlichen Organismus. Der Prozess, in dem eine Emotion entsteht, ist für uns immer noch nicht ganz geklärt. Und auch das Bewusstsein ist etwas wie ein Mysterium für den Menschen. Wir können uns heute immer noch nicht darauf einigen, wo und was es ist beziehungsweise in welchem Grad es beim Schaffen oder Denken tätig ist. Deswegen: Bewusstseinsähnliche Zustände imitieren, klar. Bewusstsein haben: Nein, eher nicht. Dafür fehlt der KI die Basis, die wir haben. Nämlich der menschliche Körper, die Seele, das Gehirn und die Vernunft. Das, und noch viel mehr, sind Faktoren, die zum Bewusstsein dazugehören. Was die Kunst betrifft: Ist sie nur etwas Buntes, das wir dahinmalen und wir deklarieren es als Kunst? Kann eine KI selbst deklarieren, dass sie Kunst macht? Oder sind immer noch Menschen diejenigen, die Kunst als Kunst betrachten wollen? Es gibt noch viele Fragen, die man beantworten müsste, bevor man wirklich sagen kann: KI kann oder kann keine Kunst. Für mich kann eine KI selbstständig keine Kunst machen, weil Kunst an eine menschliche Basis gebunden ist: nämlich Emotionen, Geist und Kreativität.

Für mich kann eine KI selbstständig keine Kunst machen, weil Kunst an eine menschliche Basis gebunden ist: nämlich Emotionen, Geist und Kreativität.

Welche Rolle wird KI Ihrer Meinung nach zukünftig in der Kunst spielen?

Ich denke, ohne mich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, dass KI hier eine marginalisierte Rolle spielen wird, und dass wir der Art und Weise, wie mit KI Kunst kreiert wird, überdrüssig werden. Im Moment finden wir KI-Bilder ansprechend, weil sie neu und auch ein wenig befremdlich sind. Aber irgendwann haben wir keinen Bock mehr, uns Werke anzuschauen, die von KI generiert wurden. Wir inspirieren uns lieber am Konzept und der Leidenschaft des Menschen dahinter, der sich stundenlang mit seiner Handwerkskunst amüsiert, um ein Bild anzufertigen. Das sind Synergien zwischen einer Natur und einem freiheitlichen Geist, die weitaus viel mehr Niveaus in ein Kunstwerk hineinlegen können als ein digital generiertes Bild.

Nora Schleich (*1988) ist eine luxemburgische Philosophin. Nach ihrem Philosophiestudium an der Universität Luxemburg promovierte sie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz zu Immanuel Kants „Analytik des Erhabenen“. Seitdem arbeitet sie als Freischaffende. Unter anderem moderiert Schleich Konferenzen, gestaltet Radiosendungen und verfasst philosophische Artikel. Seit zwei Jahren ist sie Teilzeit bei der „Erwuessebildung Asbl.“ als Programmkoordinatorin tätig. Mehr Infos unter: www.noraschleich.lu.