Für die Zuschauer am anderen Ufer muss die Szene auf dem Steg vor dem Kongresszentrum etwas absurd gewirkt haben. Auf der einen Seite der Absperrung hunderte Journalisten, die eng beieinanderstehend eifrig Mikrofone und Kameras zücken, auf der anderen jeweils kleine Gruppen von drei bis zehn Personen, die über einen türkisen Teppich laufen. Doch der Foto- und Interviewtermin ist wichtiger als gedacht. Es geht darum, möglichst viele Menschen schon im Vorfeld des eigentlichen Auftritts beim ESC von sich zu überzeugen. Deswegen ist auffallen um (fast) jeden Preis Pflicht.
Nicht zu übersehen war sicherlich Windows95man aus Finnland, der samt Jeans-Ei und Gesangspartner Henri Piispanen für die schrägsten Momente sorgte. Er habe für die Requisite „die Jeans-Reserven aller Secondhand-Märkte in Finnland“ geplündert, scherzte er im Interview. Die eigene, lange Jeans war ihm dabei scheinbar abhandengekommen. Auffallend auch der Niederländer Joost, der als einer der letzten Künstler mit einem blauen Vogelmaskottchen als rechte Hand über den Teppich stolzierte.
Im Gespräch machte er schnell klar: Sein Lied ist, trotz des sehr typisch niederländischen Humors und der Ohrwurmmelodie, kein Scherzbeitrag. Ein Markenzeichen von Joost, dessen andere Songs trotz positiver Vibes ebenfalls oft sehr dunkle Inhalte behandeln. „Europapa“ sei eine Hommage an seinen Vater. Und es sei definitiv kein Zufall, dass er sein Lied ausgerechnet im Europawahljahr 2024 für den ESC geschrieben hat.
Auch der deutsche Eurovision-Teilnehmer Isaak hatte einen kurzen ernsten Moment im Gespräch mit der Luxemburger Delegation. Auf die Frage, wie er die politischen Kontroversen rund um den Eurovision 2024 sieht, wurde er deutlich und betonte, dass es sich beim ESC um eine absolut unpolitische Veranstaltung handelt. Man sei „united by music“.
Überhaupt gaben sich die meisten der Kandidaten in den Gesprächen sehr harmonisch, tauschten Komplimente aus und nutzten die Gelegenheit auch mal, um ein kleines Selfie mit einem der anderen Teilnehmer zu machen. Man sehe sich leider immer nur sehr kurz, bedauerten etliche der Künstler im Gespräch. Ein wenig Raum für Synergien schien es trotzdem zu geben. Frankreichs Slimane verriet dem Tageblatt, dass wohl für Montag eine kleine Zusammenarbeit mit Tali geplant sei.
Tali selbst brauchte eine ganze Weile, um sich durch den Mediendschungel zu kämpfen. Immer wieder war von anderen Teilen des doch durchaus langen türkisen Teppichs zu hören, dass sie wohl darum gebeten wurde, kurz ihr eigenes oder das Lied eines ihrer Konkurrenten anzusingen. Die Luxemburger Medien begrüßten sie mit einem großen, fast schon erleichtert wirkenden Lächeln. Es sei bisher eine anstrengende Woche voller Proben gewesen. Als das Tageblatt sie fragte, was es ihr bedeute, im ersten Jahr nach Luxemburgs ESC-Rückkehr nach 31 Jahren das Land zu vertreten, schossen Tali Tränen in die Augen.
Einen kurzen emotionalen Moment erlebte auch der Kameramann von RTL während des Interviews mit der portugiesischen Sängerin Iolanda. Er hatte ein kleines Andenken aus seinem Heimatdorf dabei, wo die Künstlerin, als sie noch ziemlich unbekannt war, aufgetreten ist. Als er es ihr überreichte und auf Portugiesisch erklärte, worum es sich handelt, strahlte die 29-Jährige übers ganze Gesicht und bedankte sich. Im Gespräch verriet sie auch, dass eine Cousine von ihr in Luxemburg wohnt. Selbst habe sie das Land aber noch nicht besucht. „Aber das werde ich in Zukunft tun!“
Lesen Sie online eine Auswahl der am Sonntag geführten Interviews.
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