Kindergeld: „Schritt in die Zweiklassengesellschaft“

Kindergeld: „Schritt in die Zweiklassengesellschaft“

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Grenzgänger hatten es schon immer schwer. Ge rade in Luxemburg, wo es davon besonders viele gibt, wird es ihnen jetzt noch schwerer gemacht. Im Presseclub des DGB am Montag Morgen in Saarbrücken wurde die neue Kindergeld regelung ab dem 1. Oktober als „Schritt in die Zweiklassengesellschaft“ scharf kritisiert.

Léon Marx

„Die Leute rennen uns die Büros regelrecht ein“, bemerken Patrick Frichel (OGBL) und Thomas Schulz (DGB-Saar). Rund 44 Prozent der Beschäftigten in Luxemburg sind Grenzgänger. Die Hälfte der 148.000 Pendler kommen aus Frankreich, wo sich der Widerstand gegen die luxemburgischen Pläne bereits seit längerem formiert. Jetzt machen die rund 28.000 Pendler aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland mobil. Auch der deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ruft zur Teilnahme an der vom OGBL initiierten Protestkundgebung am 16. September auf der place Clairefontaine auf.

Die Großregion galt jahrzehntelang als Vorzeigemodell, bemerkt Eugen Roth, Landesvorsitzender des DGB Saar und Präsident des interregionalen Gewerkschaftsrates SaarLorLux-Trier-Westpfalz. Ähnlich viele Pendler gibt es nur noch ihm Großraum Basel. „Doch jetzt bekommt das Zusammenleben der Menschen eine ganz neue Qualität“, bemerkt er. Und das ist ganz und gar nicht als Kompliment zu verstehen. Im Gegenteil. „Mit der neuen Kindergeldregelung, die in Luxemburg ab dem 1. Oktober gelten soll, wird das Prinzip ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ in Frage gestellt“, erklärt er.

Indem sie das Kindergeld für Studierende ab 18 Jahren nur noch an Gebietsansässige auszahle und als Stipendien deklariere, versuche die luxemburgische Regierung ganz klar, die Kosten der Arbeit auf dem Buckel der Grenzgänger zu senken, rechnet Nico Clement vom OGBL vor. Das alles sei purer Etikettenschwindel.

Allein die Tatsache, dass die Stipendien für den einzelnen Studenten sich genau auf den gleichen Betrag belaufen wie das bisherige Kindergeld, mache deutlich, worum es der Regierung gehe. „Die 44 Millionen, die durch die neue Regelung im Staatshaushalt eingespart werden, gehen voll zu Lasten der Grenzgänger“, bekräftigt er die Aussagen von Eugen Roth. Damit betreibe Luxemburg genau die Politik, vor der Premierminister Jean-Claude Juncker vor zwei Wochen noch in deutschen Medien gewarnt hatte, nämlich „Standortwettbewerb über die Löhne zu betreiben“.

Der „Trick“ mit dem Kindergeld, das jetzt als Stipendium daherkommt, ist dabei schon der zweite Coup, bemerkt Clement. Bereits 2009, bei der Einführung der so genannten Dienstleistungsschecks („chèques-service“), wurden die Pendler diskriminiert. Das ganze Vorgehen der Regierung habe System, so der OGBL-Mann. Genau wie Eugen Roth sieht er akuten Handlungsbedarf. Wenn man sich jetzt nicht radikal zur Wehr setze, dann werde das eine Spirale ohne Ende. Und die Geldbeträge, um die es geht, werden immer größer. „Für die betroffenen Familien – rund 6.000 schätzt man – gehe es um „Tausende von Euro“ .

Klage vor der EU-Kommission

Unabhängig von der Protestkundgebung der Gewerkschaften aus der Großregion am 16. September in Luxemburg hat der OGBL inzwischen auch eine Diskriminierungsklage bei der EU-Kommission eingereicht und eine Petitionskampagne gestartet. Die gesammelten Unterschriften sollen dem Regierungschef noch vor dem 16. September überreicht werden.

Die Klageprozedur der EU-Kommission könnte sich über ein Jahr hinziehen. Mit am Ende einer Verurteilung des Landes. Davon ist man bei der Gewerkschaft überzeugt. Allein die Höhe der Stipendien und deren Einführung mit der Abschaffung des Kindergeldes über 18 zeige deutlich, dass man sich noch immer in der Logik des Kindergeldes bewege, unterstreicht Clement. Und da das Kindergeld zu einem erheblichen Teil über (Lohn-) Steuern finanziert werde, müsse es auch an die Kinder von beitragzahlenden Pendlern ausgezahlt werden, argumentiert er. Alles andere sei eine Diskriminierung und so nicht mit europäischem Recht vereinbar.

Politische Reaktionen aus Deutschland gab es nach Informationen der Gewerkschaften bislang noch keine. Dies, obwohl man neben den Ministerpräsidenten Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) und Peter Müller (Saarland) auch die Bürgermeister der größeren Gemeinden angeschrieben hat. Anders dagegen in Belgien und Frankreich.

Nach der heftigen Reaktion der belgischen Senatorin Dominique Tilmans (das Tageblatt berichtete) hat sich jetzt auch Bertrand Mertz (Bürgermeister in Thionville) zu Wort gemeldet. Mit einer „lettre pimentée“ an den Premierminister, wie die Kollegen von Le Quotidien in ihrer Montagsausgabe schreiben. Wie es in dem Streit weitergehen wird, ist derzeit offen. Das Gesetz, das kurz vor der Sommerpause von den Abgeordneten der Regierungsparteien CSV und LSAP im Parlament durchgepeitscht wurde, wird am 1. Oktober in Kraft treten.

Index wird nächster Streitpunkt

Ob die Tausenden von Demonstranten, die für den 16. September erwartet werden, mit ihrem Protest die Regierung noch zum Einlenken bringen können? Und wenn nicht? An solchen Spekulationen will man sich nicht beteiligen.
Für Nico Clement vom OGBL ist allerdings klar, dass „die Aktionen über den 16. September hinaus weitergehen“.

Der nächste Streitpunkt steht mit der Index-Frage auch schon fest. Die Regierung hat angekündigt, dieses Thema, an dem die Tripartite Anfang des Jahres scheiterte, im Herbst wieder auf den Tisch zu bringen.