GroßbritannienNach der Wahlschlappe: Die Konservativen streiten um den richtigen Kurs

Großbritannien / Nach der Wahlschlappe: Die Konservativen streiten um den richtigen Kurs
Die einstige britische Innenministerin Suella Braverman macht Stimmung für einen Rechtsruck bei den Torys Foto: Jeff Overs/BBC/AFP

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Der nachgeholte Maifeiertag bietet dem britischen Premier Rishi Sunak an diesem Montag Gelegenheit, in Ruhe etwaige Schlussfolgerungen aus dem verheerenden Abschneiden seiner konservativen Partei bei den englischen Kommunalwahlen am Donnerstag zu ziehen.

Vorab hatten die üblichen Nörgler und Nichtskönner vom rechten Flügel sowie ihre Büchsenspanner in den Medien eifrig über eine neuerliche Rebellion gegen den Chef spekuliert. Passiert ist nichts – und zu Wochenbeginn sieht alles danach aus, als werde der knapp 44-Jährige seine Partei im Herbst in die von allen Demoskopen vorhergesagte Niederlage bei der Unterhauswahl führen.

Indizien dafür brachte der letzte Urnengang genug. Von den zur Wahl stehenden knapp tausend Kommunalmandaten verloren die Torys beinahe die Hälfte; zehn der elf sogenannten Metro Mayors von London über Birmingham und Mancester bis zur Region Nord-Yorkshire gehören der Labour-Party an. Lediglich in der nordöstlichen Region rund um Middlesbrough (Teesside) konnte der Konservative Ben Houchen vom Amtsbonus zehren. Allerdings hatte er sich im Wahlkampf so weit wie möglich von der Londoner Zentralregierung distanziert und seine Parteizugehörigkeit kaum zu erkennen gegeben.

Die gleiche Strategie verfolgte im Großraum um die zweitgrößte englische Stadt Birmingham mit ihren drei Millionen Einwohnern Andy Street. Am Ende einer langwierigen Auszählung fehlten ihm am Samstagabend gerade mal 1.508 Stimmen zur Wiederwahl. Tapfer nahm der frühere Einzelhandelsmanager die Verantwortung für die knappe Niederlage gegen seinen weithin unbekannten Labour-Konkurrenten Richard Parker auf sich und warnte die Torys vor einem Rechtsruck: „Das wäre der falsche Weg.“

Genau diesen Pfad hingegen wollen Rechtsaußen wie die zweimal von ihren Kabinettsposten gefeuerte Suella Braverman einschlagen. Auf Politikfeldern wie Immigration, Steuern und Polizei müsse die Regierung „starke Führung zeigen“, anstatt vor sich hin zu managen – ein Seitenhieb auf den technokratisch auftretenden Premierminister. Den aber will Braverman großzügig im Amt belassen, anders als die Fraktionskollegin Andrea Jenkyns, die sich nach einer Rückkehr des gescheiterten Party-Premiers Boris Johnson sehnt.

Koalition aus Rassisten und Islamisten macht mobil

In der Hauptstadt brachte der Wahlkampf allerlei Unappetitliches zum Vorschein. Nach wütenden Protesten mussten die Konservativen ein Werbefilmchen zurückziehen. Darin war von London als „einer Verbrechensmetropole“ die Rede gewesen, in der Bürgermeister Khans „maskierte Gebühreneintreiber“ unschuldige Autofahrer terrorisieren. Gegen den Sohn armer Einwanderer aus Pakistan, der die Verbesserung der häufig schockierend schlechten Luftqualität zu seinem zentralen Anliegen gekürt hatte, machte eine Koalition aus Rassisten, Islamisten und Klima-Leugnern mobil. Unterdessen solidarisierte sich die Tory-Kandidatin Susan Hall mit Leuten, die mit Blick auf das bunte Kultur- und Rassengemisch der Metropole von „Londonistan“ reden.

Khan musste sich dafür kritisieren lassen, dass er zu öffentlichen Auftritten im gepanzerten Landrover mit Begleitschutz ankommt, anstatt wie seine Vorgänger Ken Livingstone mit der U-Bahn oder Boris Johnson mit dem Fahrrad durch London zu reisen. Dabei haben genau wie anderswo britische Politiker keinen Einfluss auf die Gefährdungsbeurteilung durch die Sicherheitsbehörden. In Khans Fall lautet deren Urteil seit 2017: höchste Gefahrenstufe durch rechtsextreme Rassisten und islamistische Fanatiker. Dass Politikern aus beiden Gruppen Gefahr droht, haben die Morde an den Unterhausabgeordneten Jo Cox 2016 und David Amess 2021 gezeigt.

Zugewinne für Grüne und Liberaldemokraten

Khans Wiederwahl, Parkers knapper Sieg in Birmingham, aber auch viele wenig beachtete Erfolge in Wechselwähler-Wahlkreisen wie Nuneaton oder Tamworth, dem sogenannten „Middle England“, sorgten bei Labour für gute Stimmung. Doch will sich das Team um Oppositionsführer Keir Starmer auf den Lorbeeren nicht ausruhen, zumal Colin Rallings und Michael Thrasher vom Oxforder Nuffield College zur Vorsicht raten. Umgerechnet auf die Unterhauswahl, glauben die höchst erfahrenen Wahlforscher, würden die Ergebnisse vom Donnerstag zwar für einen Labour-Sieg reichen; womöglich bliebe die alte Arbeiterpartei aber auf die Unterstützung kleiner Kräfte angewiesen.

Erhebliche Zugewinne bei den Kommunalmandaten verzeichneten am Donnerstag sowohl die Liberaldemokraten wie auch die Grünen. Während Letztere wohl vor allem von desillusionierten Labour-Sympathisanten profitierten, gewähren die Liberalen frustrierten einstigen Torys Unterschlupf. Gleichzeitig muss Sunaks Partei eine Abwanderung rechtsgerichteter Wähler zu Rechtspopulist Nigel Farages Reform-Bewegung verkraften.

Der Premier will nun, darauf ließen Medieninterviews seiner Getreuen am Sonntag schließen, so weitermachen wie bisher. „Wir werden kämpfen“, betonte Verkehrsminister Mark Harper in der BBC: „Die nächste Wahl ist noch keineswegs entschieden.“