Wolf im Schafspelz

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Im Gegensatz zu den mehreren Tausend Gewerkschaftern und Gewerkschaftsmitgliedern, die sich auch in diesem Jahr hierzulande wieder zu 1.-Mai-Vorfeiern und -Feiern zusammenfinden, soll es Bürger geben, die das von Finanzminister Luc Frieden am vergangenen Freitag vorgestellte „Stabilitäts- und Wachstumsprogramm“ als durchaus vertretbar, als nicht „ganz so schlimm“ empfinden.

Nun, entweder sind diese Menschen aus irgendeinem Grund nicht von den neuerlichen Austeritätsmaßnahmen betroffen, oder aber sie sind naiv, unkritisch oder sehr leicht manipulierbar. Oder alles zusammen.

Tom Wenandy twenandy@tageblatt.lu

Denn das, was die Regierung dabei ist, zu betreiben, ist nichts weiter als das, was gemeinhin als Salamitaktik bezeichnet wird. Häppchenweise wird unter dem Deckmantel einer unabdingbaren Sparpolitik das Sozialsystem frei nach neoliberaler Brüsseler Vorgabe zuerst ausgehöhlt, um es anschließend umso besser und schneller abbauen zu können.

Und eigentlich, das muss man anerkennen, legt sich die Politik dabei (zumindest bis zu einem gewissen Punkt) ganz geschickt an. Anstatt gleich den „großen Hammer“ auszupacken, geht sie eben schrittweise vor. Immer umrahmt von der gebetsmühlenartig wiederholten Leier von schrecklichem Defizit, von breiten und weniger breiten Schultern und von zukünftigen Generationen. Mit dem Ergebnis, dass zumindest ein Teil der Bevölkerung den „Spar“-Happen widerstandslos schluckt.

Es könnte aber gut sein, dass dieser ihnen im Halse stecken bleibt oder zumindest böse aufstößt. Denn das „Sparpaket“ der Regierung, das vermeintlich harmlos daherkommt, ist alles andere; eine Art Wolf im Schafspelz. Zum einen sind die angekündigten Änderungen sehr vage gehalten. So manch böse Überraschung könnte es in diesem oder jenem Punkt also noch geben.

Das Ende des Liedes

Zum anderen, wie Luc Frieden bereits angedroht hat, ist dies noch lange nicht „das Ende des Liedes“. Frei, aber sinngemäß übersetzt heißt dies, dass wenn die Regierung mal wieder glaubt, irgendwo (wahrscheinlich prioritär im sozialen Bereich) kürzen zu müssen, sie dies auch ohne Zögern und „état d’âme“ tun wird.

Und schließlich darf man nicht vergessen, dass dieses „Sparpaket“ nicht das erste seiner Art ist. Seit 2006 zum Beispiel werden Familienleistungen ohne Ausgleich gekürzt oder desindexiert. Das Indexsystem selbst wurde, wie gerade vor wenigen Monaten geschehen, auch in den vergangenen Jahren bereits mehrfach manipuliert. Die Steuertabelle wurde seit geraumer Zeit nicht mehr angepasst. Und, und, und … Insgesamt hat die Kaufkraft der unteren, aber auch und vor allem der mittleren Klassen stark abgenommen. Mit den entsprechenden Konsequenzen für die Betroffenen selbst, auf lange Sicht, aber auch für die gesamte Gesellschaft.

Genauso schlimm wie die Maßnahmen per se, oder vielleicht sogar noch schlimmer, ist aber die Tatsache, dass die Regierung mittlerweile alle Entscheidungen im Alleingang trifft. So, als habe es ein Luxemburger Modell mit den entsprechenden Erfolgen im Sinne des Landes nie gegeben.

Sicherlich ist es schwierig, mit einem Patronat zu verhandeln, das, wie vergangene Woche noch vom Oberbanker E. W. Contzen gehört, ohne jegliches Verständnis für Sozialdialog und ohne Rücksicht auf (menschliche) Verluste die Abschaffung des Index und eine drastische Reduktion des Mindestlohns fordert.

Noch schwieriger wird es aber dann, wenn sich der Premierminister himself einerseits zwar für das Luxemburger Modell ausspricht, andererseits aber keine Gelegenheit auslässt, den Gewerkschaften jede politische Legitimierung abzusprechen, und darauf hinweist, dass in einer repräsentativen Demokratie alleine Regierung und Parlament das Sagen haben. Wenn aber Entscheidungen zugunsten einiger weniger und an den Interessen des übrigen Volkes vorbei getroffen werden, muss man sich Fragen hinsichtlich des Systems stellen bzw. ernste Sorgen machen. Denn eine moderne Demokratie sollte nicht von politischen Oligarchen geführt werden, sondern verstärkt auf bürgerliche, gewerkschaftliche und arbeitnehmerische Partizipation setzen. Auch und vor allem in schwierigen Zeiten.

In diesem Sinne wird sehr deutlich, dass der oft als, in Inhalt und Form, etwas angestaubt verschriene 1. Mai auch im menschlich recht armen Luxemburg mit seinen Forderungen nach guten Arbeitsbedingungen, einer gerechten Verteilung des geschaffenen Reichtums sowie einem starken Sozialstaat so wichtig ist wie eh und je.