Wenn Tote twittern

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LUXEMBURG - „Gravediggers Inc. Accepted your friend request – midnight zeitgeist @ the mausoleum“: So lautet der Titel des neuen Stückes der Theatertruppe der Uni Luxemburg.

Auf den ersten Blick ziemlich verwirrend und kompliziert, das stimmt. Doch nach einem Gespräch mit den Köpfen der Truppe ist man nur noch
gespannt und freut sich auf die Premiere am Freitag.

„edudrame“
„Gravediggers Inc. Accepted your friend request – midnight zeitgeist @ the mausoleum“

• Vorstellungen

Freitag, 20. Mai 2011 und Samstag, 21. Mai um 20 Uhr im Escher Theater.

Tickets:

Tel.: (+352) 54 03 87
www.theatre.esch.lu

Medien- und konsumkritisch möchten sie sein, etwas aussagen, über die Gesellschaft, in der sie leben. Und das tun Marlene Schick-Witte (23 Jahre), Conrad Doberauer (24 Jahre) und Mila Mulas (24 Jahre), die Gründer von „edudrame“, nun mal auf der Theaterbühne. Alle drei hatten bereits Theatererfahrung, als sie zum Studium der „Cultures européennes“ an die Uni Luxemburg kamen. Als sie sich dann im Herbst 2009 auf einer Party kennenlernten, beschlossen sie, eine eigene Theatertruppe zu gründen. Ihr Stück über die Totengräber, die die Freundesanfrage akzeptieren und sich Mitternacht im Mausoleum treffen, um über den Zeitgeist zu diskutieren (oder so ähnlich), ist bereits das zweite Stück, das sie auf die Bühne bringen.

Nach der Aufführung im Mai letzten Jahres im Grand Théâtre von „Haute culture: Did you feed your backpackdoll today? Mosaïque de la responsabilité“ – die Truppe hat wohl eine Vorliebe für lange und schwierige Titel – steht ihnen nun die Bühne des Escher Theaters zur Verfügung.

Freie Hand

Charles Muller hat den Studenten in seinen Räumlichkeiten eine Residenz angeboten, sie proben dort, bekommen Hilfe von den Technikern. „Charles Muller lässt uns völlig freie Hand, er vertraut uns“, freut sich Conrad Doberauer. „Und er findet uns mutig und hat von einer Gratwanderung gesprochen“, fügt Mila Mulas hinzu. Gratwanderung, warum? „Naja, unser neues Stück ist schon sehr provokant“, sagt Marlene Schick-Witte.

Die Ausgangsidee ist ziemlich originell: Conrad, Mila und Marlene lassen Persönlichkeiten, die auf Friedhöfen in Paris begraben liegen, wieder auferstehen und konfrontieren sie mit der heutigen Welt. Im nullten (!) Akt stellen sich diese Persönlichkeiten vor, der russische Balletttänzer Vaslav Nijinsky zum Beispiel oder auch die französische Malerin Jeanne Hébuterne oder die Kurtisane Marie Duplessis, die heute zwar kaum mehr jemand kennt, die aber Alexandre Dumas als historisches Vorbild für seinen Roman „Die Kameliendame“ diente.

Erwartungshaltung

Im ersten Akt dann sitzen diese zehn Auferstandenen gemeinsam an einer Haltestelle und warten auf einen Zug, der leider fünf Jahrhunderte Verspätung hat. Sie haben viel Zeit, um sich Gedanken über das Leben zu machen. Sehr viel Zeit. Eine Stimme aus dem Off (ein Mensch?, eine Maschine?, ein Gott?) bombardiert sie mit Fragen. Abwechselnd antworten die Figuren, mit steigendem Alkoholpegel werden sie immer ehrlicher, aber auch immer alberner.

Der zweite Akt bricht dann mit dieser Stimmung, die Bühne verwandelt sich in eine Art Supermarkt, die Figuren wollen immer mehr, mehr von allem, mehr Essen, mehr Vergnügen, mehr Sex. Während der Zuschauer im ersten Akt in eine Art Erwartungshaltung gezwungen wird, da er sich spätestens bei Frage 300.000 nun endlich wünscht, dass etwas mehr passiert, ist er im zweiten Akt völlig überfordert. Von den Farben, dem Ton, dem Licht. „Er soll den ekelhaften Überdruss spüren“, sagt Marlene. „Konsum stresst und Medienkonsum erst recht“.

Die Überforderung ist demnach absichtlich, jeder Akt soll anders wirken. Und so wird es im letzten Akt dann eher bedrückend. Die Figuren sitzen hinter Gittern, gefangen, sind nach der Konsumschlacht völlig erledigt. Sie sind isoliert, entfremdet, beinahe unmenschlich. Ihre Kritik an Medienflut und Konsumsucht ist perfekt, dennoch bleibt das Ende offen: Hold the line please …

Casting per Facebook

Die Schauspieler haben Marlene, Mila und Conrad, die nicht nur den Text geschrieben haben und Regie führen, sondern auch selbst mitspielen, gecastet. „Edudrame“ setzt sich heute aus zehn Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen und Nationalitäten zusammen. Auf der Bühne wird französisch, deutsch, englisch, luxemburgisch, spanisch oder auch schwedisch gesprochen.

Der Aufruf für das Casting lief übrigens über Facebook. Über Facebook? „Na klar, wir sind natürlich voll drin in dieser Welt“, sagt Conrad und lacht. „Wenn ich von Marlene mal zwei Stunden lang keine Antwort auf Facebook bekomme, rufe ich sie sofort an, aus Angst ihr sei etwas passiert.“ Eine gute Voraussetzung, damit die Premiere am Freitag ein voller Erfolg wird: Die Truppe kritisiert, was sie kennt!