KinoVom menschlichen Begehren: Luca Guadagnino (Teil 2)

Kino / Vom menschlichen Begehren: Luca Guadagnino (Teil 2)
Brachte Luca Guadagnino den Durchbruch: das Coming-of-Age-Drama „Call Me By Your Name“ mit Timothée Chalamet (links) Quelle: imdb.com

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Luca Guadagnino ist trotz seiner zunehmenden Popularität in Hollywood sehr stark einem Verführungsprinzip verschrieben, das weit über die Normen des amerikanischen kommerziellen Filmmodells hinausgeht; sein großes Thema ist das Begehren, das ihn auch sehr stark in der europäischen Filmkultur verwurzelt. Gerade das Kontingente, das Ausufernde, Suchende macht die sinnliche Dimension seines Kinos aus.

Das Coming-of-Age-Drama „Call Me By Your Name“ (2017) machte Luca Guadagnino endgültig zu einer weltweit anerkannten Größe. Darin wird von der romantischen Beziehung zwischen dem 17-jährigen Elio Perlman (Timothée Chalamet) und Oliver (Armie Hammer), dem 24-jährigen Assistenten von Elios Vater, einem Archäologieprofessor, erzählt. Nicht nur bedeutete dieser Film den Durchbruch für Thimothée Chalamet, er verhalf auch Guadagnino dazu in Hollywood Fuß zu fassen. Wieder gibt es da, wie in den beiden Vorgängerfilmen „Io sono l’Amore“ (2009) und „A Bigger Splash“ (2016) die lange und heiße Sommerzeit, diesmal in der Lombardei, im Jahr 1983. In dieser lichtdurchfluteten, warmen Kulisse entfaltet Guadagnino eine Liebesgeschichte, die für Aufsehen sorgte, denn das Beachtliche an „Call Me By Your Name“ ist die auffallend-unauffällige Selbstverständlichkeit, mit der er die Homosexualität inszeniert, ferner wurde er auch stark im Rahmen des „Queer Cinema“ rezipiert. Auch als Jugendporträt entzieht er sich deutlich amerikanischen stereotypen Vorbildern. Unschwer lässt sich „Call Me By Your Name“ in einer Reihe mit den zwei vorangehenden Filmen sehen, so sehr ist die Konzentration auf die menschliche Begierde ausgerichtet. Sie durchdringt den gesamten Film, es erwächst ein Spannungsgeflecht aus ständigen Andeutungen, Ambivalenzen und Anziehungen. Aber diese Geschichte von unbekannten und auch unbegreiflichen Gefühlen bezieht ihre Wirkungskraft über die Formbetonung, die der Regisseur einmal mehr anstrebt. Da gibt es mehrfache Fahrradausflüge, ausgelassene Schwimmeinlagen oder noch ausladende Spaziergänge, die Guadagnino in verführerische Landschaftsbilder einbettet. In dieser sinnlichen Dimension, das Eindrückliche der Jahreszeit beschwörend, erinnert „Call Me By Your Name“ an frühere Filme von Jean Renoir oder Eric Rohmer, so sehr, dass man ihn umstandslos als „Urlaubs-“ oder „Sommerfilm“ bezeichnen kann.

Der Horror als Metapher

In seinen beiden darauffolgenden Filmen wandte sich Guadagnino stärker dem Horrorkino zu. Mit „Suspiria“ (2018) knüpfte er an den Klassiker von 1977 von Dario Argento an. Auffallend ist zunächst, wie überaus kontrastiv dieser Film bei seinem Erscheinen 2018 zu dem Original des italienischen Altmeisters des Horrors besprochen wurde. Da das Monument des Giallo, dessen Schatten weit reicht, hier das unscheinbare Remake, dessen einzige wahre Leistung darin bestünde, die Einzigartigkeit des Originals auch rund fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen zu bestätigen. Indes hat die Neuverfilmung mit dem Original außer der groben Handlungslinie fast gar nichts mehr gemein: Die junge Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) reist in das geteilte Deutschland der Siebzigerjahre, um an einer Tanzakademie eine Ausbildung unter der Leitung der renommierten Madame Blanc (Tilda Swinton) anzunehmen – sie muss mithin feststellen, dass es sich dabei um einen Hexenkreis handelt, dem auch alle Angestellten angehören. Besonders in einer Genre-immanenten Lesart wurde übersehen, worauf Guadagnino im Wesentlichen abzielte: Anstatt alles auf dramatische Konzentration zu raffen, die Spannungsmomente unmittelbar aufeinander folgen zu lassen, nimmt er sich über eine Gesamtlaufzeit von fast drei Stunden hinweg viel Zeit, um ein Porträt Berlins und Deutschlands während des „Deutschen Herbstes“ zu zeichnen, wo politische Unruhen rund um die RAF-Aufstände und Gewalttaten allgegenwärtig sind. Sogar bis in die blassen, verwässerten Farben hinein wird unmittelbar an die Bildästhetik des „Neuen Deutschen Films“ der Siebzigerjahre angeknüpft. So auch in Bezug auf das Schauspielensemble: Ingrid Caven und Angela Winkler sind Schauspielerinnen des ehemals Jungen Deutschen Films. Guadagnino bricht den Spannungsverlauf um die übernatürlichen Vorkommnisse, die in den finalen Hexen-Sabbat kulminieren, immer wieder auf, schweift ab, sucht nach weiteren Bezugspunkten, die außerhalb der reinen handlungsökonomischen Ebene liegen. Der so heraufbeschworene Horror ist vielmehr eine Metapher für die realweltlichen politischen Verhältnisse, die sich im Zerrspiegel des Horrorgenres wiederfinden. Da wo sich die Genreerwartung an der Komplexität der Nachbildung einer realweltlichen Befindlichkeit bricht, entstehen die Missverständnisse: „Suspiria“ erzählt mehr von dem Begehren einer aufstrebenden Tanzstudentin, die sich im Blick der Lehrerin bestätigt sehen will, von einem gestörten Verlangen nach Mutterschaft, ferner noch von dem politischen Begehren nach Umbruch für das die Horrorelemente lediglich ein metaphorisches Vehikel sind.

Es folgte mit „Bones and All“ (2022), eine Kannibalen-Romanze, deren reine Horrorzuschreibung indes der philosophischen Reflexion über das Menschsein, die sie beinhaltet, nicht gerecht werden kann. Die Schauereffekte, die das Horrorkino bereithält, interessieren Guadagnino auch hier nicht. Vielmehr erweitert er sein Kernthema um die Frage, wie menschliches Begehren sich entfalten kann, wenn es per se als gesellschaftsgefährdend wahrgenommen wird. „Bones and All“, der den gleichnamigen Roman von Camille DeAngelis zur Vorlage hat, ist ein Film über Außenseiter. Da gibt es die schüchterne Maren (Taylor Russell), die entdeckt, dass sie ein „Eater“ ist, jemand, der dem Geschmack von Menschenfleisch nicht widerstehen kann. Sie begibt sich auf eine Reise quer durchs Land, um ihren abwesenden Vater zu finden, von dem sie glaubt, dass er der Schlüssel zum Verständnis dessen ist, wer sie ist. Unterwegs trifft Maren auf andere Gleichgesinnte, darunter Sully (Mark Rylance), eine räuberische Vaterfigur, und Lee (Thimothée Chalamet), einen Wanderer, der ihr beibringt, wie sie mit ihren Begierden umgehen soll. Dieses komplexe affektierte Begehren ist in „Bones and All“ als ein spannungsgeladenes Netz aus Repression, Entfremdung und Identitätssuche und Selbsterfahrung angelegt. Das handlungsführende Moment des Roadmovies, die Reise, legt diesen Film auch als Stationendrama an – es bietet Guadagnino die Gelegenheit, sein Themenfeld des Begehrens in der mäandernden Erzählstruktur zu vertiefen. Einem Genrepublikum, das die erwartbaren Spannungskurven eines klassischen Horrorfilms verlangt, kann „Bones and All“ insofern nicht genügen. Er präsentiert weniger klassische Genrebezüge, es gibt nicht das Ausschöpfen düsterer Atmosphären, vielmehr fokussiert Guadagnino das immer dichter werdende Band der Zuneigung zwischen Maren und Lee, die versuchen müssen, eine ethische Position einzunehmen gegenüber einem Umfeld, das sie ausschließt und einem Generationenkonflikt, der unüberwindbar ist. Es ist die gemeinsame Begierde, die identitätsstiftend ist in einer seltsam-entrückten Welt, die im Begriff ist zu verfallen. Es bleibt ein diffuses Gefühl eines Gesellschaftsbildes, dessen Absterben unmittelbar bevorsteht.

Ausblick: „Challengers“

„Challengers“ stellt womöglich den bisher größten Einschnitt in Guadagninos Schaffen dar, da er sich am deutlichsten am Genrekino Hollywoods inspiriert. Der Sportfilm mit seinen dramatischen Erzählmustern aus Wettkampf, Sieg und Niederlage ist der Rahmen, über den Guadagnino ein Dreiecksverhältnis anlegt: Tashi Duncan (Zendaya), ein ehemaliges Tennis-Wunderkind, das nach einer Verletzung, die die professionelle Karriere beendete, als Trainer arbeitet, versucht so auch die Pechsträhne ihres Partners Art (Mike Faist) zu durchbrechen, um ihn wieder zur Höchstleistung zu bringen. Ausgerechnet muss aber Art gegen Tashis ehemaligen Freund (Josh O’Connor) antreten – überall latente Spannungen, die sich aus der Begierde nähren. Ein Kino des expressiven, ambivalenten und repressiven Begehrens. Der Lektüreschlüssel für Guadagninos Filmschaffen ist die menschliche Begierde.

Luca Guadagnino

Dieser Text ist der zweite von zwei Artikeln über den Regisseur Luca Guadagnino. Der erste Teil der Serie von Marc Trappendreher erschien am Freitag. Beide Texte finden Sie auch online auf www.tageblatt.lu.