Der menschliche FortschrittGrenzgänger Alex Garland (Teil 1)

Der menschliche Fortschritt / Grenzgänger Alex Garland (Teil 1)
Alex Garland beim Screening seines neuen Films „Civil War“ Foto: AFP/Valérie Macon

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Der britische Regisseur Alex Garland ist mit nur wenigen Filmen zu einem angesagten und vielversprechenden Filmemacher geworden, den die Aura eines „Wunderkindes“ in Hollywood umgibt. Vor allem durch seine Regiearbeiten wie „Ex Machina“ (2014), „Annihilation“ (2018) und „Men“ (2022) hat sich eine große Anhängerschaft um ihn versammelt. Zum Kinostart seines neuen Films „Civil War“ soll sich seinem Werk in zwei Schritten genähert werden, seine Entwicklungsphasen nachzeichnend. Es gibt bei Garland zwei Tendenzen, die die Ambivalenzen des menschlichen Fort- und Rückschritts gleichermaßen betrachten.

Es ist zunächst überaus auffallend, wie sehr die Filme von Alex Garland in der Logik der ehemals doppelten Identität des amerikanischen Kinos beworben werden. Garland gilt mithin als ein Regisseur, der sehr zugängliche, populäre Unterhaltungsfilme schafft, die dennoch einen sehr eigenwilligen künstlerischen Anspruch erheben und über diesen herausfordernd sein wollen. Das Filmproduktions- und -verleihstudio A24 hat an dieser Ausrichtung erheblichen Anteil: „Ex Machina“ war einer der ersten großen Vertriebserfolge des Studios.

Das Produktions- und Verleihstudio A24

Allein die Form signalisiert die Stilmerkmale, über die sich das Studio und der Verleih eine visuelle Handschrift einverleibt haben: Eine Hochglanzästhetik, die besonders durch grelles Neonlicht und eine kontrastreiche Farbpalette entsteht. Die ehemaligen narrativen Errungenschaften der filmischen Moderne fließen ferner mit ein: Die offenen Enden sind als Ausdruck der gezielten Unterdrückung filmischer Geschlossenheit zu verstehen, die hier indes weniger als Distanz zum Genrekino gedacht ist, sondern vielmehr als Einladung für wildes Spekulieren steht. Sie sollen den Wiederanschauwert der Filme generieren. Die Filme dieses Studios lassen unschwer erkennen, dass ebendiese Schnittstellen aus kommerziellem Unterhaltungskino für die breite Masse und dem dedizierten Kunstanspruch des Arthousekinos gezielt bedient werden und entsprechende Vermarktungsstrategien angestrebt werden. Der Autorenstatus Garlands ist also einer, der sich zwischen Regie- und Studioposten situiert. In produktionstechnischer Hinsicht werden sie überdies beworben als ökonomische Meisterleistungen: Als Low-Budget-Produktionen, die den Erscheinungsformen der großen Hollywood-Blockbuster nahekommen. Mittels dieses sehr bewussten Auslotens all dieser Aspekte, die bei Garland zusammenkommen, erwächst freilich die überaus werbewirksame Idee des „Wunderkindes“. Ganz ähnlich werden die Regiekollegen Robert Eggers oder Ari Aster beworben, als jene Ausnahmetalente, die in der gegenwärtigen Filmindustrie die wundersame Meisterleistung vollziehen, indem sie „das Große im Kleinen“ zu schaffen vermögen. Obwohl er den Autorenstatus als intellektuelles Konzept der Filmwahrnehmung für sich nicht annimmt, sich mitunter distanziert dazu zeigt, wird seit „Ex Machina“ vehement diskutiert, wie Garland im gegenwärtigen kommerziellen Unterhaltungskino zu betrachten sei.

„Ex Machina“: Die technologische Niederlage

Viel beachtet wurde Garland, als er mit seinem Spielfilmdebüt als Regisseur einem breiteren Publikum bekannt wurde. In „Ex Machina“ begleiten wir den Programmierer Caleb (Domhnall Gleeson), der auf das Anwesen des reichen Tech-Genies Nathan (Oscar Isaac) eingeladen wird. Nathan hat mit Ava (Alicia Vikander) die perfekte Simulation geschaffen. Die in einen weiblichen Androiden-Körper gegossene, übersexualisierte künstliche Intelligenz nährt sich nicht nur von der ihr zur Verfügung stehenden Information, sondern auch von der menschlichen Emotion. Sie ist in der Lage, menschliche Gefühlsregungen wie Freude, Angst und Begehren zu lesen. An einer Stelle im Film wird dieses Spannungsverhältnis aus Kontrolle und Zufall mit den Arbeiten Jackson Pollocks und seiner Technik des „Action Painting“ verglichen – ein flüchtiger Verweis auf Garlands frühere Karriere als Kunststudent.

Caleb soll nun die menschlichen Qualitäten dieser Roboterfrau testen. Es ist das bahnbrechende Experiment im Bereich der künstlichen Intelligenz. Dieses Vorhaben geht natürlich gründlich schief, der technologische Fortschritt wird dem Menschen zur Niederlage. Alles mündet in die finale Katastrophe: Jeder bereitet jedem hier sein unschönes Ende – wo nur die KI triumphierend besteht. Diese Warnung vor der Übermacht einer künstlichen Intelligenz ist nicht neu, wohl am pointiertesten formulierte sie Stanley Kubrick in seinem Science-Fiction-Film „2001: A Space Odyssey“ (1968), dessen Roboter HAL9000 heute noch über den Film hinaus weltweite Bekanntheit genießt. Ferner bezieht „Ex Machina“ sich, bis in die unmittelbare Figurenkonstellation und Szenenfolge hinein, auf Ridley Scotts Filmklassiker „Blade Runner“ (1981), der die Menschlichkeit des Androiden eindringlich hinterfragte.

Auch die von Garland entwickelte Serie „Devs“ (2020) um ein mysteriöses Technologieunternehmen greift die Themenfelder aus „Ex Machina“ wieder auf: Die KI weitet sie aber dieses Mal auf die wissenschaftlich-religiöse Überschreitung aus – wenn die KI in der Lage ist, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu projizieren. Wieder steht da die Frage: Wo verläuft die Grenze? Wo entäußern wir uns als Mensch?

„Annihilation“: Das Zeitalter des Anthropozäns

In „Annihilation“ beschäftigte sich Garland mit den Konsequenzen der menschlichen Hybris gegenüber seinem Ökosystem, eine warnende Botschaft, die unschwer als Parabel auf sehr gegenwärtige Umweltphänomene gelesen werden kann, wenngleich Garland direkte Bezüge unterdrückt: Klimawandel, Plastikmüll, Atomtests – der Einfluss des Menschen auf den Planeten birgt Folgen, die so noch nicht ganzheitlich abschätzbar sind. Frei adaptiert nach dem 2014 erschienenen Roman von Jeff VanderMeer, sind mit dem Genre der Science-Fiction diese Probleme und Zukunftsspekulationen in Form der Dystopie überhöht-pessimistisch ins Groteske gesteigert. Im Zentrum der Handlung steht eine Biologin (Nathalie Portman), die nach der Wiederkehr ihres traumatisierten Mannes Kane (Oscar Isaac) von einem gefährlichen Spezialeinsatz eines Expeditionsteams nach Antworten für sein gestörtes Verhalten sucht. Dafür muss sie an den Ort reisen, der ihren Mann verstört zu haben scheint, die mysteriöse „Area X“.

Nachdem ein Meteoriteneinschlag unweit eines Sumpfgebiets die bestehende Geologie, die Flora und Fauna mit einem mysteriösen „Schimmer“ überzogen hat, verändern sich dort die Naturverhältnisse – Mutationen und Kreuzungen aller Art bestimmen das Erscheinungsbild dieser Landschaften. Wieder bemüht Garland bekannte Topoi des Science-Fiction-Genres: die Mutation oder noch den Klon. Beim visuellen Design der mutierten Tiere bezieht er sich freilich auf „Alien“ (R.: Ridley Scott, 1979). In der formalsprachlichen Ausrichtung macht Garland diesmal deutliche Anleihen bei dem russischen Bildermagier der Moderne, Andrei Tarkowski. Dessen dystopischer Science-Fiction-Klassiker „Stalker“ (1979) – dessen Genrezuschreibung nur oberflächlich haltbar ist – bestimmt einzelne formalsprachliche Mittel aus „Annihilation“ bis aufs Äußerste. Lange, ungebrochene Kamerafahrten gleiten über kaleidoskopische Farbwelten, die Oberflächenreize der äußerlich wahrnehmbaren Welt erfassend. Die Plansequenz als Ausdruck einer filmimmanenten Reflexion auf die Eigenheiten des filmischen Zeiteindrucks, so wie Tarkowski sie verstand, interessiert Garland indes wenig. So wie diese beiden ersten Filme den Fortschrittsgedanken des Menschen kritisch-distanziert beobachten, so pessimistisch und desillusioniert fokussieren seine beiden nächsten Filme „Men“ und „Civil War“ die Rückschritte menschlicher Evolution.

Grenzgänger Alex Garland

Dieser Text ist der erste von zwei Artikeln über den Regisseur Alex Garland. Der zweite Teil der Serie von Marc Trappendreher erscheint am Samstag.