Alain spannt den BogenEin Rückblick auf den „Ring des Nibelungen“ bei den Bayreuther Festspielen

Alain spannt den Bogen / Ein Rückblick auf den „Ring des Nibelungen“ bei den Bayreuther Festspielen
Das Bayreuther Festspielhaus, das Richard Wagner zwischen 1872 und 1875 zur Aufführung seiner Werke errichten ließ Foto: dpa/Daniel Karmann

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Rund 70 Jahre Ringgeschichte aus Bayreuth sind dokumentiert. Von den Bayreuther Festspielen existieren insgesamt 13 komplette Mitschnitte des „Ring des Nibelungen“. Nicht alle sind zu empfehlen und viele sind klangtechnisch eher Mittelmaß.

Vergessen kann man getrost den Jahrhundert-Ring unter der Leitung von Pierre Boulez, 1979/80 ohne Publikum aufgenommen, der in erster Linie an der kreischenden und unsauber intonierenden Gwyneth Jones und am matten Wotan von Donald McIntyre scheitert. Manfred Jung singt als Siegfried zwar sehr präzise, aber sein Timbre ist nicht jedermanns Sache.

Auch Thielemanns Ring von 2008 bleibt hinter den Erwartungen zurück und ist sängerisch sicherlich die schwächste und auch unausgeglichenste aller Bayreuther Ring-Aufnahmen. In beiden Ringen sind letztendlich nur die Dirigenten interessant. Auch Barenboims Aufnahme der Kupfer-Inszenierung aus den Jahren 1991/92 kam visuell viel besser rüber als rein akustisch. Zwar sind die Sängerleistungen durchwegs gut – John Tomlinson als Wotan ist ein Ereignis und Siegfried Jerusalem ein idealer Siegfried –, an die legendären Aufnahmen der 50er und 60er Jahre aber kommt auch diese Produktion nicht heran.

Aus den 60er Jahren gibt es drei Mitschnitte, einen mit Karl Böhm (1966/67) am Pult und allen großen Wagner-Sängern seiner Zeit, wie Birgit Nilsson, Wolfgang Windgassen, Theo Adam, James King, Leonie Rysanek und Josef Greindl. Er ist ohne Schwachpunkt besetzt und darf durch seine permanente Innenspannung und seine zügigen Tempi wohl als einer der besten Ringe überhaupt angesehen werden. Zudem eignet er sich vorzüglich für Einsteiger.

Zu meinen persönlichen Lieblingsaufnahmen gehören die beiden Mitschnitte von Rudolf Kempe aus den Jahren 1960 und 1961. In beiden Sommern ist Hans Hopf als Siegfried dokumentiert, 1960 sind Hermann Uhde und Jerome Hines als Wotan/Wanderer, Varnay und Nilsson als Brünnhilde zu hören. Gerhard Stolze ist ein legendärer Loge und auch sonst sind viele Rollen sehr interessant besetzt. Wenig Veränderung in der Besetzung gibt es 1961, hier teilen sich Jerome Hines und James Milligan Wotan/Wanderer. Diese Aufnahme hat allerdings den Vorteil, dass sie klangtechnisch hervorragend und bei Orfeo erschienen ist.

Die goldenen 50er

Orfeo bietet in seiner Reihe Bayreuther Festspiele zwei weitere Gesamtaufnahmen der Tetralogie an: Eine mit Clemens Krauss von 1954, die hier frisch überarbeitet wurde und ihrem Kultcharakter alle Ehre macht. Ramon Vinay singt Siegmund, die anderen Rollen sind mit den üblichen Verdächtigen der 50er Jahre besetzt, also mit Hans Hotter (Wotan/Wanderer), Astrid Varnay (Brünnhilde) und Wolfgang Windgassen (Siegfried). Krauss dirigiert den Ring, ähnlich wie Böhm, recht zügig und ohne Pathos, was man von der dritten Orfeo-Aufnahme nicht behaupten kann: Hier steht 1956 nämlich Hans Knappertsbusch am Pult und dirigiert sehr bedächtig und trotzdem voller Spannung. Wie in fast allen Aufnahmen der 50er und 60er Jahre ist Gustav Neidlinger in der Rolle des Alberich zu hören. Er ist wohl auch bis heute der überragende Gestalter dieser Rolle geblieben. Genauso wie Paul Kuën als Mime. Hans Hotter, Varnay Windgassen, Josef Greindl, Ludwig Suthaus, Jean Madeira und Josefine von Milinkovic glänzen in ihren jeweiligen Rollen.

Die Aufnahme des Dirigenten Joseph Keilberth landet für Alain Steffen auf Platz eins
Die Aufnahme des Dirigenten Joseph Keilberth landet für Alain Steffen auf Platz eins Foto: Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Von Knappertsbusch besitzen wir noch einen Mitschnitt von 1958 mit Hotter, Varnay, Windgassen und Jon Vickers als Siegmund, Frans Andersson als Alberich und der jungen Leony Rysanek als Sieglinde. Knappersbusch 1957er-Aufnahme lässt uns den leider viel zu früh verstorbenen Bernd Aldenhoff mit seiner unbeschreiblichen Höhe als Siegfried erleben. 1952, 1953 und 1955 wurden die Ringe von Joseph Keilberth mitgeschnitten. 1952 hat man das Glück, Aldenhoff und Max Lorenz als Siegfried zu hören, Uhde und Hotter teilen sich die drei Wotanp-Partien, Varnay singt Brünnhilde, Neidlinger den Alberich, Treptow Siegmund und Inge Borkh Sieglinde. 1953 ist es Martha Mödl, die die drei Partien der Brünnhilde gestaltet, während der junge Windgassen bei Siegfriede und Hotter die drei Wotan-Partien singt. Die spannendste und klanglich außergewöhnlichste der Ringe der 50er Jahre ist wohl die Testament-Veröffentlichung in Stereo. 1955 wurde dieser Keilberth-Ring von Decca mitgeschnitten, aber nie offiziell veröffentlicht. Es ist demnach der erste Stereo-Ring der Geschichte und klingt tatsächlich atemberaubend. Die Besetzung bietet keine Überraschungen, das heißt: Hotter, Varnay, Windgassen, Vinay, Greindl und Neidlinger. Es ist für mich der beste aller Ringe, obwohl Rudolf Lustig keine Idealbesetzung für Loge ist. Keilberth Dirigat ist hier fantastisch und ich ziehe es Knappertsbusch und Krauss vor, wie auch schon 1952 und 1953.

Kurz, die Top-Bayreuther Ringe sind: 1. Keilberth 1955, 2. Böhm 1966/67 und Platz 3 teilen sich Kempe 1961 und Knappertsbusch 1956. Erwähnen muss man allerdings eine Walküre von 1954 unter Keilberth, wo Max Lorenz kurzfristig als Siegmund eingesprungen war, sowie Karajans Rheingold und Siegfried aus dem Jahr 1951 mit Sigurd Björling als Wotan, Heinrich Pflanzl als Alberich und Bernd Aldenhoff als Siegfried und den „offiziellen“ auf Emi veröffentlichten 3. Akt der Walküre.

Zum Kontext

Letzte Woche berichtete Alain Steffen über die Mini-Tour des Rotterdam Philharmonic Orchestra und ausgewählter Solisten der Metropolitan Opera New York unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin: Das Ensemble führt derzeit „Die Walküre“ von Richard Wagner auf. Dabei handelt es sich um eine Oper Wagners, die zusammen mit „Das Rheingold“ und „Siegfried und Götterdämmerung“ das Gesamtwerk „Der Ring des Nibelungen“ bildet. Den Text finden Sie in der Ausgabe vom 2. Mai.