Wieso Rumänien nur schlecht auf den EU-Vorsitz vorbereitet ist

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Der Brexit, die Europawahlen und die umkämpften Haushaltsplanungen: Der EU steht ein turbulentes Halbjahr bevor. Doch mit Rumänien übernimmt nun ausgerechnet Europas neues Sorgenkind das EU-Vorsitzruder. Das Tauziehen um die Justiz und der Machtkampf in Bukarest mehren die Zweifel, ob die regierenden Sozialisten der Aufgabe gewachsen sind.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad

In der Not setzt ein Steuermann auch auf ein zweifelhaftes Rettungsboot. Rumäniens erstmaliger EU-Vorsitz falle in eine Zeit, „die entscheidend für die Zukunft der EU“ sein werde, stimmt EU-Kommissionschef JeanClaude Juncker Bukarest auf eine „extrem schwierige Aufgabe“ ein. Doch trotz „Meinungsverschiedenheiten“ sei er zuversichtlich, dass Rumäniens „gut vorbereitete Minister“ die Herausforderung meistern würden, versichert Europas ranghöchster Berufsoptimist.

„Wir sind bereit“

Andere sind weniger positiv eingestellt. Der bevorstehende Vollzug des britischen EU-Austritts, die Europawahlen und die umkämpften Haushaltsplanungen: Der EU steht ein turbulentes Halbjahr bevor. Ausgerechnet nun übernimmt Europas neues Sorgenkind am 1. Januar von Österreich das Vorsitzruder. Das Tauziehen um die Unabhängigkeit der Justiz und der eskalierende Machtkampf in Bukarest mehren die Zweifel, ob die regierenden Sozialisten (PSD) dem Job gewachsen sind.

Es sei „nicht hilfreich“, wenn eine Regierung den EU-Vorsitz übernehme, die selbst „Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung mit Füßen tritt“, warnt der deutsche EVP-Abgeordnete im Europaparlament, Daniel Caspary. Die Regierung dränge Rumänien „aus Europa heraus“, klagt der oppositionelle PNL-Abgeordnete Florin Citu.

Nachdem Staatschef Klaus Johannis der Regierung im November noch bescheinigt hatte, „nicht bereit“ für den EU-Vorsitz zu sein, schlägt er kurz vor dessen Beginn diplomatischere Töne an. „Nach gewissen Erschütterungen“ hätten die Vorbereitungen auf die EU-Ratspräsidentschaft „ein fortgeschrittenes Stadium“ erreicht, versichert der deutschstämmige Landesvater: „Wir sind bereit. Auch wenn es immer Raum für Verbesserungen gibt.“

PSD-Chef will sich selbst amnestieren

Für einen verstärkten Zusammenhalt der EU und mehr Augenmerk für Schwarzmeer-Fragen will Rumäniens Regierung während des EU-Vorsitzes streiten. Doch tatsächlich könnte die halbjährlich rotierende EU-Ratspräsidentschaft Bukarest kaum zu einem ungünstigeren Moment zufallen.

Seit der Machtübernahme der PSD nach der Parlamentswahl 2016 wird der Karpatenstaat vom anhaltenden Tauziehen um die Justiz, endlosen Kabinettsumbildungen und den größten Protesten seit dem Sturz des sozialistischen Autokraten Nicolae Ceausescu erschüttert. Rumänien werde nicht in die „dunklen Zeiten des Einparteienstaats“ zurückfallen, verkündet entschlossen der oppositionsnahe Staatschef Johannis: Selbst wenn „Kriminelle“ verzweifelt versuchten, eine Amnestie für korrupte Politiker durchzusetzen.

Tatsächlich ist es die Absicht des allgewaltigen PSD-Chefs Liviu Dragnea, sich selbst zu amnestieren, die dem sich wirtschaftlich in den letzten Jahren eigentlich relativ gut entwickelnden Land die politische Dauerkrise beschert. Um einer drohenden Haft zu entgehen, hält der wegen Amtsmissbrauch vorbestrafte PSD-Vormann eisern an dem Vorhaben fest, die Justiz an die Kandare der ihm hörigen Regierung zu nehmen.

Rumänien sieht sich als Diskriminierungsopfer

Zwar hat der die Regierungsgeschäfte vom Rücksitz steuernde PSD-Strippenzieher in weniger als zwei Jahren bereits drei Regierungschefs und 70 Minister verschlissen. Doch obwohl Dragnea selbst in der eigenen Partei eher gefürchtet als beliebt scheint, ist sein Vorhaben einer verstärkten Regierungskontrolle der Justiz bereits weit gediehen.

Nicht nur der lästigen Antikorruptionsbehörde DNA hat die Regierung den Zahn gezogen. Mit dem Austausch von Staatsanwälten und Richtern mehren sich die Freisprüche und die Annullierung der Haftstrafen von wegen Korruption verurteilten Ex-Würdenträgern: Allein vor Weihnachten konnten ein halbes Dutzend von Politikern, die wegen Korruption eigentlich bereits rechtskräftig zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, wegen des Neuaufrollens ihrer Prozesse vorzeitig ihre Zellen räumen.

Aufforderungen des Europarats, des Europaparlaments und der EU-Kommission, von dem geplanten Begnadigungsgesetz für wegen Korruption verurteilte Amtsträger abzusehen, stoßen in Bukarest auf taube Ohren. Unbedingt will PDS-Chef Dragnea das anvisierte Amnestie-Gesetz bis zum 15. Januar vom Parlament absegnen lassen.

Die ihm loyal verbundene Regierungschefin Viorica Danica weist die EU-Kritik an der umstrittenen Justizreform als „inakzeptabel“ und „ungerecht“ zurück. Rumänien werde von Brüssel „diskriminiert“, obwohl andere EU-Mitglieder „viel korrupter“ seien: „Wir werden kritisiert, ohne es zu verdienen. Wir werden bestraft, nur weil wir ein osteuropäisches Land sind.“

Mit Brüssel auf Konfrontationskurs

Doch noch mehr als der Konfrontationskurs zu Brüssel werfen die innenpolitischen Turbulenzen und die nahenden Präsidentschaftswahlen tiefe Schatten auf Rumäniens EU-Vorsitz. Das angespannte Verhältnis zwischen dem Präsidenten und der Regierung, die außenpolitisch das Land eigentlich gemeinsam zu vertreten haben, ist kurz vor Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft auf einen neuen Tiefpunkt gesackt. PSD-Chef Dragnea will den unbequemen Landesvater gar des Landesverrats verklagen lassen – auch um die eigenen Wahlchancen bei den Präsidentschaftswahlen im November zu erhöhen.

Während sich die Opposition mehrmals vergeblich bemühte, die von der PDS geführte Regierung per Misstrauensvotum aus dem Amt zu hebeln, werden die PDS-Reihen durch den parteiinternen Streit um den polarisierenden Kurs von Dragnea gelichtet. Ihre Mehrheit im Parlament hat die Koalition der PSD mit der liberalen ALDE durch die sich mehrende Zahl von Austritten und Ausschlüssen von Partei-Dissidenten verloren: Die Regierung hält sich nur noch dank der sie tolerierenden Partei der ungarischen Minderheit UDMR im Sattel.
Rechtzeitig will sich Dragnea mit dem von ihm forcierten Begnadigungsgesetz den Weg zur Präsidentschaftskandidatur – und in eine neue politische Zukunft ebnen.

Doch selbst der sozialistische Ex-Präsident Ion Iliescu hat kürzlich in einem Interview mit Le Figaro öffentlich Zweifel an den Erfolgsaussichten einer Kandidatur von Dragnea und an dessen Verschwörungstheorien geäußert. Noch mehr Verwerfungen scheinen auf Rumäniens turbulentem Politparkett in den nächsten Monaten garantiert: Die Interessen Europas scheinen Bukarests streitbare Strippenzieher dabei nur bedingt im Blick zu haben.