EditorialSenegals neuer Präsident steht für eine historische Wende

Editorial / Senegals neuer Präsident steht für eine historische Wende
Der neue Präsident Bassirou Diomaye Faye bei der Vereidigung am 2. April in Dakar  Foto: John Wessels/AFP

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In seinem viel beachteten Werk „Afrotopia“ forderte der senegalesische Wirtschafts- und Kulturwissenschaftler Felwine Sarr für Afrika eine Abkehr von westlichen Maßstäben und eine Neuorientierung an den afrikanischen kulturellen Wurzeln und gesellschaftlichen Organisationsformen. Der 2016 erschienene Essay ist Ausdruck eines neuen afrikanischen Selbstbewusstseins. Nach den Putschen in Guinea, Burkina Faso, Mali, Niger und Gabun, angesichts des seit einem Jahr tobenden Krieges, der Sudan zu zerstören droht, und der unzähligen Konfliktherde auf dem Kontinent scheint die Aufbruchsstimmung zerstoben zu sein. Bleibt „Afrotopia“ ein frommer Wunsch und eben doch nur eine Utopie?

Ein Lichtblick ist das, was sich vor etwa zwei Wochen in Senegal ereignete: Dort könnte der am 25. März neugewählte und vor zwei Wochen vereidigte Präsident Bassirou Diomaye Faye eine historische Wende mit Vorbildcharakter über die Landesgrenzen hinaus einläuten. Faye steht für eine Befreiung von neokolonialen Abhängigkeiten. Zwar war die von Ousmane Sonko vor zehn Jahren gegründete Partei „Patriotes africains du Sénégal pour le travail, l’éthique et la fraternité“ (Pastef) offiziell aufgelöst worden, aber Faye trat mit dem Programm, das sie sich auf die Fahnen geschrieben hatte, bei den Wahlen an. Das beinhaltet unter anderem einen Bruch mit der jahrzehntelangen neokolonialen Unterwürfigkeit. Zwar sind die afrikanischen Länder vor mehr als einem halben Jahrhundert in die formale Unabhängigkeit entlassen worden, die alten kolonialen Machtstrukturen, von den reichen Industrienationen diktiert, blieben jedoch bestehen.

Ein bezeichnendes Beispiel lieferte Frankreich, das sein Kolonialreich in eine von Paris geführte „Gemeinschaft“ umwandelte und weiter bestimmte, wo es politisch und ökonomisch langging. Letztendlich profitierten nur die Eliten davon, den meisten Afrikanern blieb die Armut. Symbole der französischen Vorherrschaft sind bis heute der „Franc de la coopération financière en Afrique“ (CFA-Franc) und die Anwesenheit französischer Soldaten. Letztere halfen etwa Mali ab 2014 im „Krieg gegen den Terror“ radikaler Islamisten mit einer Militärintervention. Doch das malische Militär putschte schließlich und löste eine Kettenreaktion in den Nachbarstaaten aus. „Frankreich raus!“, schrien die Menschen in Bamako und anderswo. Schließlich zogen die Franzosen ihre Truppen ab.

Nun richten sich die Wahlgewinner in Senegal – übrigens ein bedeutender Partnerstaat der luxemburgischen Kooperationspolitik, mit einem „Programme indicatif de coopération“ (PIC) über 154 Millionen Euro (bis 2030) – gegen die Abhängigkeiten von Paris. Eine konkrete Forderung im Wahlkampf war unter anderem die nach einer Ablösung des CFA-Franc durch eine eigene Währung. Die senegalesischen „Patrioten“ klingen sehr populistisch und nicht wirklich neu. Dabei gilt Faye als Hoffnungsträger einer neuen Generation von politischen Führern in Afrika, die nicht nur für einen Systemwechsel und für panafrikanische Ideen stehen, sondern auch strukturelle Probleme wie die Korruption zu bekämpfen versprechen und auf internationaler Ebene Verhandlungspartner auf Augenhöhe sein wollen. Unmissverständlich sagte Faye im Interview mit Le Monde: „Wenn Frankreich das nicht begreift, könnte es aus Afrika hinausgeworfen werden.“

Vor nicht langer Zeit hing der Machtwechsel am seidenen Faden. Erst zehn Tage vor der Wahl war der 44-jährige Faye noch im Gefängnis in Untersuchungshaft, weil er angeblich falsche Informationen verbreitet und einen Beamten beleidigt hatte. Ein gutes Zeichen ist jedenfalls, dass der unterlegene Regierungskandidat Amadou Ba seine Niederlage eingestand und die Amtsübergabe friedlich verlief. Dabei wollte Fayes Vorgänger Macky Sall noch im Februar die Wahlen auf unbestimmte Zeit verschieben und löste damit eine Verfassungskrise aus. Doch diese hat Senegal überstanden und bleibt zumindest vorerst eine der stabilsten Demokratien in Afrika.