ZivilcourageMobbing-Vorfall im Lycée Nic Biever: Jugendliche wissen nicht, was richtig und was falsch ist

Zivilcourage / Mobbing-Vorfall im Lycée Nic Biever: Jugendliche wissen nicht, was richtig und was falsch ist
Mobbing ist nach wie vor ein Problem – auch an Luxemburger Schulen Symbolbild: Pixabay

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Am Vorfall im Düdelinger Lycée Nic Biever erkennt man: Mobbing wird für Schüler manchmal zum Spektakel. „Die Kinder und Jugendlichen wissen nicht mehr, was richtig und was falsch ist“, sagt Tania Matias, Koordinatorin vom „Service national de la jeunesse“. Psychologe Gilbert Pregno gibt der mangelnden Erziehung die Schuld.

Ein Schüler filmt mit seinem Mobiltelefon einen Mobbingangriff im Düdelinger Lycée Nic Biever und teilt das Video dann in den sozialen Netzwerken. Die Bilder zeigen das Opfer, wie es sich hinknien muss, um unter Gelächter einem Mitschüler die Schuhe zu binden und gleichzeitig einen Tritt von einem anderen Jugendlichen zu kassieren. Die Aufnahme macht seit vergangenem Freitag ihre Runden auf Facebook – und sorgt für entsetzte Reaktionen. „Die Schüler, die zugeschaut haben, sollten sich schämen“, ist in den Kommentaren zu lesen. „Wie kann man da zuschauen und lachen?“, schreibt eine andere Person.

Für Tania Matias, Koordinatorin beim „Service national de la jeunesse“ (SNJ), wissen viele Kinder und Jugendliche nicht genau, was Mobbing ist – sie seien sich des Ernstes der Situation nicht bewusst. „Den Schülern fehlt das Grundwissen, was richtig und was falsch ist“, meint Matias. Sie leitet das Projekt „S-Team: Setz dech an!“. Die Initiative soll ab dem Schuljahr 2021/22 junge Menschen dazu ermutigen, mehr Verantwortung für die Prävention von Gewalt in all ihren Formen zu übernehmen.

Das ist laut Projektleiterin Matias prinzipiell nicht so aufwendig, „aber es ist wichtig, dass jemand ihnen beibringt, was Mobbing überhaupt ist und wie man sich in solchen Situationen verhält.“ Das Projekt basiert auf dem Prinzip der „Peer-Mediation“. Heißt: Die Kinder und Jugendlichen sollen ihre Mitschüler selbst sensibilisieren. „Wir hoffen, dass wir die jungen Menschen besser erreichen, wenn die Botschaft von ihren Gleichaltrigen kommt“, sagt Matias. Ausgebildetes Personal begleite währenddessen das Projekt.

Zuerst sollen die Teilnehmer die Situation in ihrer Schule analysieren und sich mit der Thematik befassen. Danach sollen die Kinder und Jugendlichen dann ein Projekt entwickeln, das ihre Mitschüler auf das negative Verhalten hinweist. „Das kann von einem kleinen Plakat bis hin zu einem Theaterstück gehen“, sagt Matias.

Auch wenn es sich dabei um ein präventives Projekt handele, hoffe die Projektleiterin, dass die Jugendlichen in einer Situation, wie sie im Lycée Nic Biever passiert ist, nicht nur zuschauen. „Es geht auch darum, Zivilcourage zu stärken“, meint Matias. Ein „S-Team“ könne so einen Vorfall dann auch aufarbeiten und den Schülern mitteilen, wie man sich in solch einer Situation verhalten soll.

„Zivilcourage zeigen ist nicht einfach“

Manette Kayser arbeitet für das „Centre pour le développement socio-émotionnel“ und ist Koordinatorin des Präventionsprojektes „Stop Mobbing“
Manette Kayser arbeitet für das „Centre pour le développement socio-émotionnel“ und ist Koordinatorin des Präventionsprojektes „Stop Mobbing“ Foto: CDSE

„Zivilcourage zeigen, das ist sehr viel verlangt von einem Menschen – auch von Erwachsenen“, sagt Manette Kayser. Sie ist Koordinatorin des Präventionsprojektes „Stop Mobbing“, das zum „Centre pour le développement socio-émotionnel“ gehört. Das Nicht-Handeln sei eine Art Schutzmechanismus. „Die Zuschauer haben Angst, ausgeschlossen oder selbst Opfer zu werden“, meint Kayser weiter.

Der Fall im Lycée Nic Biever sei allerdings besonders perfide und eher außergewöhnlich. „Das besagt auch die Wissenschaft: 80 Prozent der Mobbingfälle sind nicht körperlich“, erklärt die Koordinatorin. Dem Täter ging es laut Kayser wahrscheinlich darum, das Opfer zu erniedrigen – und sich so mächtig zu fühlen. „Die Aufmerksamkeit und das Gelächter der Zuschauer haben dies nur verstärkt“, sagt Kayser.

„Stop Mobbing“ arbeite vor allem in der Grundschule und fast immer mit einer ganzen Klasse „Wir beschäftigen uns viel mit Kindern aus dem Zyklus 3.2, weil sie dann anfangen, selbstständiger zu werden“, sagt die Koordinatorin des Projektes. Dabei sei es wichtig, die Kinder zu motivieren, Zivilcourage zu zeigen – das gelinge vor allem in einer Gruppe. „Wenn die Schüler merken, dass der größte Teil der Klasse solche Vorfälle nicht gut findet, dann kann man Zivilcourage fördern“, erklärt Kayser.

Doch wie soll man am besten auf Mobbing reagieren? Zuschauer können laut Manette Kayser zum Beispiel einen Mitbeobachter ansprechen und darum bitten, zusammen dem Opfer zu helfen. Oder: Dem Opfer helfen, ohne dabei Blickkontakt mit dem Täter aufzubauen.

Eine Frage der Erziehung

Gilbert Pregno ist Psychologe und Präsident der konsultativen Menschenrechtskommission CCDH
Gilbert Pregno ist Psychologe und Präsident der konsultativen Menschenrechtskommission CCDH Foto: Julien Garroy

Die Verantwortung, Zivilcourage zu entwickeln, soll laut Gilbert Pregno, Psychologe und Präsident der konsultativen Menschenrechtskommission CCDH, allerdings nicht hauptsächlich bei solchen Projekten liegen. „Man merkt, dass die Erziehung nicht bei allen Eltern die erste Priorität ist“, meint Pregno. Alleingelassene Jugendliche würden sich andere Bezugspersonen suchen. Dadurch finde die Erziehung dann nicht zu Hause statt, sondern im Freundeskreis. Dies hat sich laut Pregno in letzter Zeit möglicherweise verstärkt, weil beide Elternteile arbeiten müssten, um über die Runden zu kommen. Auch die höhere Anzahl an Scheidungen spiele eine Rolle. „Das stellt für Jugendliche eine Art Erdbeben dar“, sagt der Psychologe. Eine Erziehung erfordert laut Pregno Zeit und Verfügbarkeit.

Es sei wichtig, dass den Jugendlichen mitgeteilt werde, was falsch ist. „Es sei nicht die Aufgabe der Schule, die Kinder zu erziehen, aber der Bildungsapparat kommt nicht daran vorbei, auch einen Beitrag zu leisten“, meint Pregno. In einem Lyzeum müsse es eine Kultur geben, die auf Respekt, Wohlwollen und Toleranz basiere. „Wenn ein Septième-Schüler in ein ‚Lycée’ kommt, dann soll ihm erklärt werden, wofür die Schule steht“, sagt der Psychologe. Es sei auch wichtig, dass alle Menschen, die in der Schule arbeiten, sich an dieselben Regeln halten – nicht nur gegenüber den Schülern, sondern auch unter dem Personal. „Die Lehrer wissen nicht, wie wichtig sie im Leben der Schüler sind“, sagt Pregno.

Doch die Schule könne auch durch eine Erweiterung der Fächer zu einer besseren Schulatmosphäre beitragen. „In Schweden gibt es Kurse über ethische Werte und das gemeinsame Zusammenleben – das ist meiner Meinung nach ein wichtiger Ansatz“, meint Gilbert Pregno.


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Raymond STOFFEL
26. Mai 2021 - 12.56

Nomi Däer hutt esou eppes vun Recht. Ëtt ass e Problem vun der Erzéihung, déi op villen Plazen nët méi existent ass.

Minettsdapp
26. Mai 2021 - 9.36

Eng kleng Remarque mengersëits: ech liesen hei, dass mer missten an eisen Schoulen daat wichtegt Fach "Ethik" aféieren, wéi daat schons a Schweden de Fall wär. Mee esou e Fach gëtt et dach schons zanter Joeren an eisen Schoulen " VieSo- vie et sociéte". Mee et ass wéi bei all Schoulfach: wann d'Schüler sech futtéieren, bréngt och dee beschte Prof naischt un se. Leider.

Lord Claredon
25. Mai 2021 - 16.38

Zu meiner Zeit in der Schule, 50er und 60er Jahre, hätten alle, die lachend dabei gestanden haben, eine Disziplinarstrafe bekommen und der Treter einen Verweis von der Schule auf Bewährung. Ersatzweise hätte es einige Stunden Sozialarbeit gegeben, wie Müll im Schulhof und um das Gebäude zu sammeln und bei Älteren Vorbereitungsräume für Naturwissenschaften unter Aufsicht der Fachlehrer zu ordnen und zu putzen, Flure zu kehren, Papierkörbe im Hof zu leeren etc. Dann hat jeder kapiert, was Mobbing oder Herabsetzung bedeutet und immer dann gedacht.

Frank Hoegener
25. Mai 2021 - 6.57

Eng Situatioun déi schnell diffuséiert gett an de Medien a schon gin déi Jugendlech beschass. Schued.

Linda
24. Mai 2021 - 14.08

Wen wonnert daat ? Mir Elteren hun emer manner Rechter an da Azéiung vun onsen Kanner! Vir alles krit een Virschreften ( assistante social) op den Hals. Elteren mussen zu 2 schaffen. Kanner sin an den Maisons de Relaien. Crèchen! An do gin se och net emer gut betreit! Oft gin se do schon gemoppt. Souguer vum Léierpersonal an den Educatricen (euren). Daat hun ech vun aaneren Elteren azielt krit. Ech sin frou datt meng Kanner lo aus dem Ganzen Schoulsystem raus sin an hird Liewen maan. ( Ech hun meng selwer azunn! Eleng! An sie sin op den richtegen Wee gaang! Hengt einfach un da Azéihung an den Famillienvahältnisser. An den Emgang dobaussen matt den falschen Fren. Et get emer méi schwéier . Vill Elteren valéieren Kontroll iwer hir Kanner! Wem seng Schold???

Realist
23. Mai 2021 - 15.09

Mangelnd Erzéiung vun doheem äus? Fir op déi Iddi ze kommen, muss ee nu wierklech keen Dokter sinn. Wien soll d'Kanner dann awer doheem erzéien? D'Eltere schaffen allen zwee, an an de Maisons-Relais an aneren "Aufbewahrungsanstalten" herrscht ënner de Kanner oft schonn eng "Hackordnung" wéi an enger Primatenhord. A spéitestens mat 10 oder 12 Joer, wann se bis e Smartphone hunn, ass et souwisou definitiv eriwwer mam Afloss op di eege Kanner. Da ginn se just nach vun de Figuren op TikTok, Instagram, Snapchat und Co erzunn.

Mirza
23. Mai 2021 - 10.21

Wehn huet den Burn-Out??

de Schmatt
23. Mai 2021 - 9.50

Mobbing : das Hinterhältigste und Feigeste das es gibt. Eines der wichtigste Fächer, das in der Schule eingeführt werden sollte, ist Ethik, die den kleinen Prinzen*Prinzessinnen in Sachen Umgang miteinander, Anstand, gegenseitigen Respekt und Toleranz nicht nur theoretisch sondern auch anschaulich beibringen würde. Wenn diese Werte schon im Elternhaus nicht vorgelebt werden. Niemand ist ohne Makel aber jeder kann sein Fehlverhalten verbessern.

marci
22. Mai 2021 - 19.06

Vor etwa 40 Jahren....... Anlässlich eines "Premièresfest" ist mir folgendes widerfahren: Es schickte sich für alle beliebten Lehrer, bei diesem Fest einige im Prinzip harmlose Spielchen über sich ergehen zu lassen, wo die Schüler für einmal ihre Lehrer vorführen durften. An den genauen Inhalt dieses "Spiels" kann ich mich nicht erinnern; wir Lehrer standen mit verbundenen Augen in einem Kreis, also "blinde Kuh" mit einigen Abänderungen. Da traf mich plötzlich von hinten ein vehementer Fußtritt zwischen die Beine, daß ich zusammensackte und alle Galaxien unserer Milchstraße in allen Farben des sichtbaren Spektrums sah. Ich konnte jedoch auch den grinsenden Typen sehen, welcher mir diesen gezielten Tritt verabreicht hatte, ein Schüler sicherlich, aber welcher niemals in einer meiner Klassen saß. Eben dieser Umstand hat mich zutiefst betroffen gemacht. Jahrelang habe ich diese Erinnerung in mir herumgetragen und natürlich jegliche Schülerfeste gemieden. Damals gab es auch keinen "service de psychologie" für seelisch verletzte Lehrer, keinen H. Pregno der sich um das mentale Wohl der Lehrerschaft kümmerte. Wörter wie Mobbing waren noch nicht erfunden. Gibt es sie heute?

d'ketty
22. Mai 2021 - 17.59

J'étais enseignante et parfois les enfants me faisaient pitié quand il m'arrivait de rencontrer leurs parents.

Nomi
22. Mai 2021 - 13.21

Fir Alles brauch een Diplom, mee fir Elteren ze ginn gett et keng Viiraussetzungen ! Di eng kennen et di aaner net, an dei' et net kennen sinn an der Majoritei't !

HTK
22. Mai 2021 - 9.08

Die "Gamer" Generation mit dem schnellen Handy-Finger macht sich gegenseitig fertig. Giftpfeile werden mit Lichtgeschwindigkeit verschossen,Agressionen werden an Schwächeren entladen,am besten in einer Gruppe,da fällt Feigheit nicht so auf und der Betroffene wird sich nicht so schnell wehren. Von Haus aus ist oft nicht viel zu erwarten,verlassen sich die gestreßten Eltern doch auf das Lehrpersonal.Da werden sie geholfen. Wenn nicht oder es gibt gar noch Kritik vom Lehrer,dann geht's ab zum Anwalt. Beim Lehrer heißt das dann nicht mehr Mobbing sondern Burn-Out. Cool eehh.

Blücher
22. Mai 2021 - 6.28

Immer nur Entschuldigungen, aber einsehen unsere moderne , liberale Erziehung , Lebensweise versagt hat , gestehen wir uns nicht ein. Mit dem Ausdruck des Spektakeln wurde die Situation unserer Gesellschaft richtig beschrieben. Immer mehr „Events“ die Adrenalin unserer Spass-,Konsumgesellchaft bis zum nächsten Hipe freisetzen .Kommt nun eine Krise , wie jetzt die Pandemie, fällt die Bevölkerung in Depressionen jammert auf hohem Niveau der entgangen Freizeit-,Konsumangeboten.Nebenbei sollten unsere gelehrten Entschuldiger der Nation auch das digitale Netz, die aggressiven Videospiele mit in ihrer Fehlersuche einbeziehen, anstatt es immer mehr zu propagieren. Luxemburg ist in der Bronx angekommen.Wem man Anstand,Respekt,Moral nicht lehrt, von dem kann man nicht verlangen er sie anwendet.