TheaterkritikAls Außenseiter in den Wahnsinn getrieben: „Woyzeck“ wird im Kaleidoskop-Theater inszeniert

Theaterkritik / Als Außenseiter in den Wahnsinn getrieben: „Woyzeck“ wird im Kaleidoskop-Theater inszeniert
Hier sind die Figuren fast alle auf der Bühne versammelt (v.l.n.r.): der Tambourmajor (Leo Hänig), der Hauptmann (Tim Olrik Stöneberg) und davor Marie (Rosalie Maes), die „Frau“ (Véronique Kinnen) und der Doktor (Neven Nöthig). Foto: Bohumil Kostohryz

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Nach „Glückliche Tage“ hat das Kaleidoskop-Theater nun ein weiteres klassisches wie normsetzendes Werk auf dem Programm: „Woyzeck“ von Georg Büchner. Die Aufführung hinterlässt einen gemischten Eindruck – besonders schade ist, dass bei der Inszenierung dieses literarischen Meisterwerks nicht mehr gewagt wurde.

Viele dürften „Woyzeck“ noch aus Jugendtagen kennen, denn kaum ein Drama wird im Gymnasium bzw. Lyzeum öfter gelesen und kaum ein Klassiker ist deswegen ein größerer Schulklassen-Magnet als das Werk, das Georg Büchner seiner Nachwelt als Fragment hinterließ. Gerade deswegen versuchen viele Regieführende, bei der Inszenierung von der Textvorlage wegzurücken und das Stück anders zu konzeptualisieren. Dadurch entstehen noch nie dagewesene Interpretationsräume und das zu Recht kanonisierte Werk, das nach so vielen Aufführungen zu verblassen droht, wird mit neuen Bedeutungen aufgeladen, die das tragende Verbindungsstück zwischen Büchners Zeit und der unseren sind. Dadurch bleibt das Stück lebendig.

Dass die einzelnen Inszenierungen dabei polarisieren können oder auch wollen, ist Teil des Ganzen. So gab es schon Inszenierungen, in denen die Hauptfigur Woyzeck vom Tambourmajor, seinem Nebenbuhler, vergewaltigt wird. Damit gewinnt der Leidensweg des armen Soldaten eine neue Dimension: Er, mehr gehetztes Tier als Mensch, wird so weit in die Ecke gedrängt, dass er schließlich Marie, die Mutter seines Sohnes, im Wahn totsticht. Schuld ist die Gesellschaft, deren Vertreter ihn grausam zurichten.

Schauspieler überzeugen weitgehend

Der maßgebliche Vorwurf, den man der „Woyzeck“-Inszenierung unter der Regie von Jean-Paul Maes machen kann, ist wohl, dass ihr eben dieser kreative Funken, der das Stück mit neuer Energie versorgt hätte, fehlt. Sie wirkt – trotz der Tatsache, dass die Figuren viel Schabernak treiben und auch mit Clownsnasen auf der Bühne erscheinen – letztlich zu brav und zu nah am Original.

Dennoch: Besonders lebhaft und humorvoll umgesetzt sind die Rollen des Doktors (Neven Nöthig) und des Hauptmanns (Tim Olrik Stöneberg). Auch der Tambourmajor (Leon Hänig), die Frau (Véronique Kinnen) und schließlich Marie (Rosalie Maes) sind glaubhaft dargestellt. Etwas forciert wirkt nur die Art, wie Alexander Kruuse-Mettin Woyzeck selbst verkörpert. Seinen gequälten Gesichtsausdruck ändert der Darsteller leider kaum und sein Zwischen-den-Zähnen-Hindurchsprechen, das sowohl angespannt-aggressiv als auch nachlässig wirkt, stört auf Dauer. Würde der Schauspieler bei seiner Performance größeren Wert auf Variation legen, könnte er sicherlich mehr aus seiner Rolle herausholen.

Bühnenbild hätte mehr Mühe verdient

Etwas ernüchternd wirkt auch das Bühnenbild (dafür zuständig: Thomas Mörschbacher). Die vorgelagerte Plattform, die als Erweiterung der Hauptbühne dient, bedeckt ein einfaches Tuch, das aus zusammengenähten braun-gelben Quadraten besteht, die obere Bühne ist weitgehend leer, nur vier weiße Tuchstreifen, die ebenfalls aus einzelnen Teilen bestehen, hängen von oben herab – zwei weitere Streifen umrahmen die tiefergelegene hölzerne Konstruktion.

Die Entscheidung für eine solche karge Anspruchslosigkeit im Design ist grundsätzlich nachvollziehbar, denn sie spiegelt die rohe Gefühlskälte der Bessergestellten, die Woyzeck schamlos ausnutzen, sowie die materielle Not und Perspektivlosigkeit der jungen Eltern, die – wie Marie  selbst sagt – „arme Leut“ sind. Dennoch wirkt die Bühnengestaltung in dieser Form etwas laienhaft und unbeholfen. Denn bei der Vorstellung am vergangenen Donnerstag reichte es aus, dass Woyzeck mit der Kinderkutsche kurz über das Ende eines Tuchstreifens fuhr, um es ganz durchzureißen. In der Folge konnten die Zuschauer durch einen Schlitz im schwarzen Vorhang sehen und so erkennen, wann sich welche Schauspieler dort aufhielten. Das gilt es natürlich zu vermeiden.

Ganz am Ende verschwinden auch Woyzeck und der „Bub“ in seiner Kutsche unter dem Tuch, das den Teich, an dem der Soldat seine Freundin umgebracht hat, symbolisiert
Ganz am Ende verschwinden auch Woyzeck und der „Bub“ in seiner Kutsche unter dem Tuch, das den Teich, an dem der Soldat seine Freundin umgebracht hat, symbolisiert Foto: Bohumil Kostohryz 

Was hingegen ein geglückter Einfall ist: Der Gebrauch eines riesigen Tuchs aus einem sehr leichten, schimmernden Stoff, der die Bettdecke, unter der sich der Tambourmajor mit Marie zurückzieht, wie auch das Wasser, in dem später die Leiche der jungen Frau liegt, darstellt. Dadurch, dass nach der Mordszene dieses Tuch von den Schauspielern über die Vor-Bühne gespannt und dann an den Enden geschüttelt wird, wirft dieses schöne, wellenartige Falten, die ganz langsam zu Boden sinken. Erst nach einigen Momenten wird der Umriss von Maries Körper unter dem Material sichtbar – das ist ein schöner Effekt, der die Dramatik des Moments unterstreicht.

Wann kann man das Stück sehen?

30. Januar: 17.30 Uhr
3. Februar: 20 Uhr
4. Februar: 20 Uhr
5. Februar: 20 Uhr

Die Aufführungen finden alle im Bettemburger Schloss statt.

Stück mit Trommelmusik unterlegt

Wirklich gelungen ist schließlich die musikalische Untermalung des Stücks durch Al Ginter, einen bekannten Luxemburger Perkussionisten und Schauspieler, der auch kurzzeitig als Woyzecks Freund Andres auftritt. Von der rechten Bühnenecke aus hält er das Geschehen den größten Teil der Zeit im Blick, lässt seine Finger in einem schnellen, trippelnden Rhythmus auf sein Tamburin sausen – wobei sich sein Spiel nie in den Vordergrund drängt, wenn es nicht als Kniff gewollt ist – und passt sich so spontan wie mühelos der sich wandelnden Dynamik der Szenen an.

Gegensätze, die mit Sicherheit nicht leicht zusammenzubringen sind, weiß Ginter auszutarieren: Da sein Trommeln im wahrsten Sinne des Wortes als Geräuschkulisse dient, gibt der Musiker darauf Acht, dezent zu bleiben und die Aufmerksamkeit des Publikums nicht unnötig auf sich zu lenken; gleichzeitig aber schafft er es, durch seinen virtuosen Umgang mit seinen Instrumenten einen Klang zu produzieren, der Stimmungen transportiert und so den Eindruck, den die Handlung auf die Zuschauer hat, maßgeblich beeinflusst. Auf zweifach taktvolle Weise liefert Ginter somit den Soundtrack zum Stück. Dass die Musik eine so große Rolle spielt, ist überhaupt vielleicht das Originellste an der Kaleidoskop-Inszenierung – von zusätzlichen neuen Impulsen hätte sie profitieren können.