Herausforderungen in der Corona-KriseSportpsychologe Frank Muller: „Der Mensch ist anpassungsfähig“

Herausforderungen in der Corona-Krise / Sportpsychologe Frank Muller: „Der Mensch ist anpassungsfähig“
Die Beratungen von Sportpsychologe Frank Muller finden zurzeit virtuell in Form von Skype-Coaching statt Archivbild: Gerry Schmit

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Reihenweise abgesagte Sportveranstaltungen, Ungewissheit, wann der nächste Wettbewerb ansteht, gezieltes Training für ein Highlight, das schlussendlich nicht stattfinden wird. Das Tageblatt unterhielt sich mit dem Sportpsychologen Frank Muller über die Herausforderungen, mit denen sich Elite- und Hobbysportler in der aktuellen Zeit auseinandersetzen müssen und wie man am besten damit umgehen kann.

Tageblatt: Wie sieht Ihr Arbeitspensum zurzeit aus? Man kann sich vorstellen, dass die Beratung eines Sportpsychologen in einer solchen Zeit sehr gefragt ist.

Frank Muller: Das Pensum ist eigentlich wie immer, das sehe ich positiv. Hierdurch merkt man, dass viele Athleten inzwischen auf eine langfristige sportpsychologische Beratung setzen und nicht nur in Krisensituationen – wie bei Verletzungen, mehreren schlechten Spielen in Folge oder eben jetzt der Corona-Krise – auf einen zurückgreifen. 

In welcher Form finden Ihre Beratungen denn zurzeit statt?

Meine Beratungen laufen normal weiter, außer dass das Ganze eben jetzt virtuell in Form von Skype-Coaching stattfindet. Einige Sportler bevorzugen zwar schon den persönlichen Kontakt, dass man sich direkt in einem Raum gegenübersitzt, doch in dieser Zeit ist das leider nicht machbar und dafür haben auch alle Verständnis. Das Profil reicht im Moment vom Profi bis hin zum Nachwuchssportler. Anfragen von Kollektivsportlern gibt es zurzeit jedoch etwas weniger, da einige Saisons inzwischen bereits abgebrochen wurden.

Welche sind denn im Moment die häufigsten Fragen, mit denen Sie zu tun haben?

Natürlich ist die Corona-Krise zurzeit das dominierende Thema. Für die Sportler gilt es, sich in dieser Situation neu zu orientieren und bestmöglich mit dieser neuen Situation klarzukommen. Die Gefahr besteht vor allem darin, dass man in ein Motivationsloch fällt, weil man ja nur noch zu Hause ist. Somit ist es wichtig, eine klare Struktur zu definieren, einen konkreten Tagesplan mit klaren Zielen zu haben.

Vor allem für die Profisportler dürfte die große Ungewissheit, wann und in welcher Form die Wettbewerbe weitergehen, eine große Belastung darstellen?

Die Elitesportler richten ihr ganzes Leben nach dem Sport aus. Die Ungewissheit, wann man wieder einen Wettbewerb bestreiten kann, ist schwer zu verarbeiten, nicht nur vom psychologischen, sondern auch vom trainingswissenschaftlichen Standpunkt her. Vor allem Sportler aus den Bereichen Radsport, Schwimmen oder auch Leichtathletik trainieren ja spezifisch auf ein bestimmtes Ereignis hin. Wichtig ist es vor allem, dass man als Team, zusammen mit dem Trainer, daran arbeitet. Die Radfahrer haben in Luxemburg zurzeit immerhin die Chance, dass sie noch auf der Straße trainieren können, wenn auch nicht in der Gruppe. Anders sieht dies bei den Schwimmern aus, die nicht ins Becken können, bei Sportlern wie etwa Tennisspielern, die einen Trainingspartner benötigen, oder auch diejenigen, die in der Halle trainieren, die momentan eben nicht zur Verfügung steht. Und wir sind ja erst in der zweiten Woche, in der diese Ausnahmesituation gilt. Jede weitere Woche wird da schwieriger.

Welche Ratschläge geben Sie den Sportlern in der jetzigen Situation denn mit auf den Weg, um zu verhindern, dass sie doch in ein Motivationsloch fallen?

Wichtig ist es, proaktiv dagegen zu steuern, bereits im Vorfeld Lösungen parat zu haben, wenn die Motivation doch nachlässt. Ein erster Reflex kann ja durchaus sein, erst einmal chillen zu wollen. Doch langfristig tut das dem Körper nicht gut. Was die Motivation betrifft, so gibt es ja auch noch viele weitere Faktoren, die hier eine Rolle spielen, wie etwa ein generelles Wohlbefinden durch ausreichend Schlaf und gesunde Ernährung. Wichtig sind auch ein geregelter Tagesablauf und das Pflegen der sozialen Kontakte. Wir sind ja schon in der glücklichen Situation, dass es viele Möglichkeiten gibt, diese aufrechtzuerhalten, auch wenn man die Leute nicht direkt treffen kann. 

Wie schwer wird es, nach einer wochenlangen Zwangspause wieder ins Trainingsgeschehen einzusteigen und plötzlich wieder Topleistungen abliefern zu müssen? 

Es ist schon eine Herausforderung, nach einigen Monaten des Abschaltens wieder von null auf hundert zu kommen. Doch der Mensch ist anpassungsfähig. Hätte man vor zwei oder drei Monaten gesagt, dass wir uns bald in einer Situation wie dieser befinden würden, hätte kaum jemand geglaubt, dass er das hinkriegen würde. Doch die Mehrheit hat sich nun an die neuen Gegebenheiten angepasst. Die Voraussetzung ist einfach, dass man seine Hausaufgaben macht. Man kann die Situation nutzen, um sich auf mentaler Ebene zu verbessern. Es gibt mentale Übungen, um unter Druck ruhiger zu werden, oder auch Entspannungs- und Visualisierungsübungen. Diese haben sich bereits in Phasen als effektiv erwiesen, in denen sich Sportler in einem Rehaprozess befanden.

Können Sportler, die bereits einmal eine langfristige Verletzungspause zu überstehen hatten, mit der aktuellen Situation sogar besser umgehen?

Das ist individuell gesehen natürlich unterschiedlich. Dennoch kann es durchaus sein, dass sie hiermit besser zurechtkommen. Sie haben gelernt, wie man die viele Emotionen – Frust, Enttäuschung, Wut –, die in einer solchen Situation normal sind, verarbeitet und wie man es vermeidet, dann in eine Art Teufelskreis zu geraten, in dem man gar keinen Antrieb mehr verspürt. Auch hier ist es wichtig, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, sich zu überlegen, was man für sich tun kann und wie man die Zeit, die man nun hat, so gut wie möglich nutzen kann. 

Frank Muller (in Schwarz) steht selbst auch noch aktiv als Basketballer für den T71 Düdelingen auf dem Parkett
Frank Muller (in Schwarz) steht selbst auch noch aktiv als Basketballer für den T71 Düdelingen auf dem Parkett Foto: Gerry Schmit

Zur Person

Frank Muller, Jahrgang 1988, ist diplomierter Sportpsychologe. Nach seinem Bachelor in Psychologie an der Universität in Luxemburg schloss er seinen Master in Sportpsychologie in Berlin ab. Muller arbeitet nicht nur mit Elite-Athleten, Trainern und Mannschaften unterschiedlichster Sportarten zusammen, sondern auch mit Jugend- und Hobbysportlern. Unter anderem ist er als externer Berater des „Luxembourg Institute for High Performance in Sports“ (LIHPS) tätig. Muller selbst steht zudem noch als aktiver Basketballer in Luxemburg beim T71 Düdelingen auf dem Parkett.

Sie sind als externer Berater für das LIHPS tätig und haben hier auch mit Olympiakandidaten zu tun. Wie sehen Sie die Entscheidung, die Sommerspiele um ein Jahr zu verlegen?

Nachdem bereits viele größere Sportveranstaltungen verlegt wurden, war es abzusehen, dass dies auch die Olympischen Spiele treffen würde. Die Sportler sehen das unterschiedlich. Einige sind erleichtert, ihnen kommt ein zusätzliches Jahr Vorbereitung vielleicht sogar entgegen. Andere spüren da Frust, weil sie jahrelang dem Ziel Tokio 2020 alles untergeordnet haben oder es möglicherweise das letzte große Highlight ihrer Karriere sein sollte. Für sie ist es nicht so einfach, ein weiteres Jahr zu warten und den Fokus aufrechtzuerhalten.

Auch viele Hobbysportler haben in den letzten Monaten auf ein Ziel hingearbeitet, sei es die Teilnahme an einem Straßenlauf, dem ersten Marathon oder einem Radrennen für Hobbyfahrer. Wie kann man mit der Enttäuschung am besten umgehen?

In einer ersten Phase sind Frust und Enttäuschung normal, wir sind schließlich alle Menschen. In einer nächsten Phase gilt es aber, nicht in die Opferrolle hineinzurutschen und sich seinem Schicksal einfach so zu ergeben. In der Psychologie spricht man hier von Erlernter Hilflosigkeit. Wichtig ist es dabei nicht nur, das angepeilte Ergebnis als Ziel zu sehen, sondern den Weg dorthin zu genießen. Das ganze Training hat schließlich auch positive Nebeneffekte, auf die man sich konzentrieren sollte: Es ist doch toll, dass diese Leute nun ein gewisses Level an Fitness haben. Sie haben ihre Selbstdisziplin gestärkt oder ein neues Hobby für sich entdeckt.

Man kann den Trainingsschwung nutzen und etwa weiter draußen seinen Sport ausüben, das Wetter spielt da zurzeit ja auch mit. Und die Rennen oder Läufe, an denen man teilnehmen wollte, werden sicher zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr nachgeholt oder finden auch im nächsten Jahr noch einmal statt. Wenn man eine Trainingsgruppe hat, kann man sich auch gegenseitig unterstützen und schauen, wie die anderen damit umgehen, schließlich sitzen alle im gleichen Boot.

Auch viele Kinder müssen zurzeit auf die Ausübung ihres gewohnten Sports verzichten. Was raten Sie den Eltern?

Eltern sollten die Zeit nutzen, um mit ihren Kindern Sachen zu unternehmen, für die sie sonst keine Zeit haben. Sei es Aktivitäten im Garten, wie Blumen pflanzen, oder in der Natur. Wichtig ist, dass sie eine tolle Zeit miteinander verbringen. Sie sollten auch versuchen, die moderne Technologie zu nutzen, denn online werden viele Sportkurse angeboten. Der deutsche Basketballverein ALBA Berlin etwa lädt jeden Tag eine virtuelle Sportstunde hoch. Ich betreue beim T71 Düdelingen die ganz jungen Basketballer und habe diesen Link mit den Eltern geteilt, der findet großen Anklang. Es ist toll, Videos zu sehen, wie sie dieses Angebot annehmen. 

Allgemein ist es gerade in belastenden Zeiten für den Körper und Geist wichtig, die Bewegung zu fördern, egal ob jung oder alt. Alle sollten sich einfach Gedanken machen, wie man die Zeit, die man nun hat, für sich am sinnvollsten nutzen kann. Wenn man erst mal wieder in den stressigen Alltag kommt, dann wird man sich ärgern, wenn man einige Sachen nicht erledigt hat oder das „mehr“ an Zeit nicht sinnvoller genutzt hat.

Allgemein ist es gerade in belastenden Zeiten für den Körper und Geist wichtig, die Bewegung zu fördern, egal ob jung oder alt.

Frank Muller, Basketballer und Sportpsychologe

Ingelberg
26. März 2020 - 19.35

Man gewöhnt sich recht schnell an die Couch.