LuxFilmFestDas Leben in einer Besenkammer

LuxFilmFest / Das Leben in einer Besenkammer
Larisa Fabers Kurzfilm „If We Smarten Up“ ist einer der fünf Kurzfilme, die heute Abend im Utopia gezeigt werden (C) Roxanne Peguet 

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Heute Abend werden fünf der zehn „Shorts Made In/With Luxembourg“ ein weiteres Mal projiziert. Einer davon heißt „If We Smarten Up“ und zeigt ein älteres rumänisches Dienstmädchen, das nach dem Tod seiner Arbeitgeber auf die Straße gesetzt wird – und sich dazu entscheidet, in der Besenkammer des Hauses zu leben. Wir haben uns mit der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Larisa Faber über ihren Kurzfilm unterhalten.

Tageblatt: Neben Ihrer Schauspielkarriere drehen Sie Kurzfilme und schreiben Theaterstücke. War diese Diversifizierung von Anfang an geplant?

Larisa Faber: Bevor ich die Schauspielschule besuchte, habe ich Film studiert. Die englischen „Film Studies“ bestehen zur Hälfte aus theoretischen Seminaren und zur anderen Hälfte aus praktischen Übungen. So kann man alle filmischen Sparten abklappern: Im ersten Jahr drehte ich einen Dokumentarfilm, im zweiten eine Art künstlerischen Tanzfilm und im dritten eine Fiktion. Einer meiner Professoren ermutigte mich, „Screen Writing“ zu studieren, weil er fand, dass ich da Potenzial aufzeigte. Das machte mir durchaus Spaß – ich wollte aber Schauspielerin werden. Es ging mir bei diesem Studium in erster Linie darum, mein Englisch aufzubessern – und gleichzeitig etwas zu studieren, das Teil von dem, was ich eigentlich tun wollte, sein würde. Danach verfolgte ich dann meine Schauspielkarriere – verspürte aber immer wieder den Drang, Geschichten zu erzählen.

Wann genau hat sich dieser Drang in konkreten Projekten manifestiert?

Es dauerte etwa fünf Jahre, bis ich mich traute, die Geschichten, die in meinem Kopf herumspukten, umzusetzen. Ich denke, der Grund, wieso ich anfangs zögerte, mag damit zu tun haben, dass Künstlerberufe wie das Schauspielern, das Schreiben oder das Inszenieren irgendwie unsichtbar sind – zumindest was das Handwerk und den Prozess anbelangt. Viele kommen deswegen auf die Idee, dass man einfach mal Texte schreiben oder Theaterstücke inszenieren kann. Weil ich aber das Handwerk des Schauspielerns erlernte und mir bewusst war, wie viel es einem abverlangt, die Technik zu beherrschen, fand ich es anfangs etwas anmaßend, jetzt einfach zu behaupten, ich wäre Regisseurin, nur weil ich drei Kurzfilme an der Uni gedreht hatte, oder zu denken, ich wäre Autorin, weil ich ein paar Zeilen zu Blatt brachte.

Gibt es einen gemeinsamen Nenner zwischen den drei Tätigkeiten?

Die Wahl, Filme zu drehen oder Stücke zu inszenieren, hat weniger mit der Berufssparte als mit dem Erzählen von Geschichten zu tun. Als Schauspielerin erzählst du ja auch Geschichten – nur sind es die Geschichten von jemand anders. Seitdem ich mit dem Schreiben begonnen habe, belege ich regelmäßig Schreibworkshops. Das Handwerk fällt einem nicht in den Schoß, man muss es schon erlernen. Genau aus diesem Grund denke ich zurzeit auch über einen M.A. in „Playwriting“ nach. Das ist der Vorteil von Großbritannien: Sobald man mit irgendwas Geld machen kann, erfinden die Engländer einen passenden Studiengang. Nichtsdestotrotz sehe ich mich nicht als Regisseurin – ich habe kein Interesse, die Texte von jemand anders zu inszenieren. Aber wenn ich Texte schreibe, sehe ich die verschiedenen Szenen bereits auf der Bühne oder auf der Leinwand. Da war es ein logischer Schritt, die Regie selbst zu übernehmen.

Hat die Erfahrung vor der Kamera geholfen, hinter der Kamera zu stehen?

Ich dirigiere meine Schauspieler so, wie ich gerne dirigiert werde. Jeder Schauspieler hat seine Methode – es gibt allerdings Strömungen oder Schulen, die sich oftmals von Land zu Land unterscheiden. Ich wurde von der englischen Schule geprägt und will folglich auch so arbeiten. Für das Casting in Rumänien wurde keine Szene gespielt, sondern improvisiert – weil mir das für den Film wichtig erschien. Ich dirigiere so, wie ich von Regisseuren dirigiert wurde, deren Arbeit ich schätze. Man lernt natürlich auch aus negativen Erfahrungen, und im Gespräch mit Schauspielerkollegen, weil man mit denen darüber diskutiert, welche Regieanweisungen hilfreich waren.

Ihr Kurzfilm ist von Fakten inspiriert. Was war der Ursprung der Geschichte?

Ich habe festgestellt, dass all die Geschichten, die ich erzähle, in der Wirklichkeit verankert sind. Das hat glaube ich mit einem bizarren Gerechtigkeitssinn zu tun, damit, dass ich verschiedene gesellschaftliche Phänomene nicht nachvollziehen kann oder will. Ich bin dieser Frau, die wirklich so hieß – Maria – nie begegnet. Aber die Frau hat es gegeben, sie hat in Bukarest in demselben Wohnungsgebäude gelebt wie meine Großmutter. Meine Mutter hat mir diese Geschichte mal erzählt: Die Frau lebte als Dienstmädchen bei einer Familie. Als ihre Arbeitgeber starben, kehrten die Kinder aus dem Ausland zurück, um die Wohnung zu verkaufen. Maria wurde folglich auf die Straße gesetzt. In Rumänien gibt es keinen funktionierenden Sozialstaat, wie wir ihn hier in Luxemburg haben. Weil Maria keine andere Möglichkeit sah, ist sie in eine Besenkammer umgezogen und hat angefangen, die Fußmatten der anderen Mitbewohner zu stehlen. Das hat die Einwohner aufgebracht. Diese haben das Schloss gewechselt und die Frau damit definitiv vor die Tür gesetzt. Den Film haben wir übrigens im Haus meiner Großmutter gedreht.

Hatte dies Auswirkungen auf den eigentlichen Filmdreh?

Wir haben bei der Hausverwaltung nachgefragt, ob wir im Gebäude drehen dürften. Die Hausverwaltung – eigentlich eine Frau, die im Gebäude lebt und der die Einwohner einmal im Monat die Nebenkosten bezahlen – zeigte sich einverstanden. Eine Woche vor dem Beginn des Filmdrehs rief mich meine Produzentin allerdings an und meinte, viele der Einwohner hätten ein Problem damit, dass wir dort drehen. Man muss bedenken, dass es in der rumänischen Gesellschaft keine Vergangenheitsaufarbeitung gab. In diesem Haus leben die gleichen Menschen wie zu diktatorialen Zeiten. Einige waren Parteimitglieder, andere haben denunziert, noch andere haben das Regime passiv geduldet. All diese Menschen leben jetzt aneinander vorbei – und niemand redet über die Vergangenheit, weil es eh keine Gerechtigkeit mehr geben wird. Diese Einwohner waren folglich wenig begeistert, dass in ihrem Haus gedreht werden sollte – ich musste so einiges umschreiben, damit weniger Sequenzen im Treppenhaus spielen. Als wir dann aber während des Drehs einen Nachbarn trafen, erzählte uns dieser, dass er Maria gekannt hätte und dass diese alte Frau, nachdem sie vor die Tür gesetzt wurde, immer wieder versucht hätte, in anderen Wohnungen unterzukommen. Aber auch dort wurde sie stets rausgeschmissen.

Im Film gibt es Elemente von sozialem Realismus – mit Themen wie Wohnungsnot, Armut und dem gesellschaftlichen Umgang mit älteren Menschen – und dann aber diese skurrile, fast schon komische Situation – die Figur lebt in der Besenkammer und stiehlt Fußmatten. Ist dies Teil Ihrer künstlerischen Vorgehensweise?

In jeder tragischen Situation gibt es einen humoristischen Kern, einen Blickwinkel, der zum Lachen bringt und die Wirklichkeit etwas entschärft. Humor ist die Form, die Menschen wählen, um mit den schrecklichen Aspekten des Lebens klarzukommen. Ich wollte im gesellschaftlichen Umgang mit älteren Menschen auch zeigen, wie darwinistisch die rumänische Gesellschaft ist. Das liegt an der diktatorialen Vergangenheit, an der Abwesenheit eines Sozialstaats, der dich auffängt, und an einer Gesellschaft, die von Korruption durchdrungen ist.

Ihr Film ist in rumänischer Sprache, Ihr letztes Theaterstück auf Englisch: Wie treffen Sie die Wahl der Sprache?

Ich arbeite zurzeit an einem zweiten Kurzfilm. Und es kann sein, dass ich den Film aufgrund eines sprachlichen Dilemmas gar nicht drehen kann. Es soll in diesem Kurzfilm erneut um ein älteres Paar gehen. Das Thema berührt mich, wie man wohl merkt, einerseits weil es mich interessiert, wie man zerbrechliche Menschen behandelt, andererseits weil wir später ja auch zu diesen alten Menschen werden. Man fragt sich also irgendwie, wie man mit Variationen seiner selbst umgeht. Dieser Kurzfilm wird eine Art Tanzfilm werden, und die Dialoge sollen in luxemburgischer Sprache sein. Nur gibt es die Schauspieler nicht – es gibt keine 70- oder 80-jährigen Tänzer in Luxemburg. Es ist zeitgleich absurd und faszinierend: In Luxemburg gibt es nicht alle Menschen, um alle Geschichten zu erzählen. Was macht man dann? Erzählt man die Geschichte überhaupt noch? Bei „If We Smarten Up“ war es klar, dass die Geschichte in rumänischer Sprache sein muss, da der Film etwas über die rumänische Gesellschaft aussagen möchte.

Wie läuft der Auswahlprozess für die „Short“-Reihe des LuxFilmFest?

Man schickt seinen Kurzfilm ein und das Auswahlkomitee des Festivals stellt eine Auswahl aus den besten zusammen. Es freut mich ganz besonders, dass mein Film dort projiziert wird, einerseits weil dieser Kurzfilmabend zu einem wichtigen Moment im Kulturkalender wurde, andererseits aber auch, weil mein Film weder vom Film Fund unterstützt noch von einem luxemburgischen Produktionsstudio finanziert wurde. So ist es eine einmalige Gelegenheit, den Film dem luxemburgischen Publikum auf großer Leinwand zu zeigen.

Info

„If We Smarten Up“ läuft heute Abend zusammen mit vier anderen Kurzfilmen in der „Panorama“-Auswahl um 21.00 Uhr im Utopia.