ForumWandel durch Kontinuität? Ansprüche an das Großprojekt Esch-Belval

Forum / Wandel durch Kontinuität? Ansprüche an das Großprojekt Esch-Belval

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Vom 4. bis zum 9. August findet an der Uni Luxemburg das Jahrestreffen der
„IGU Urban Geography Commission“ statt. Diese Forschertagung wird zum ersten Mal in Luxemburg organisiert. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir in den nächsten Tagen Beiträge von Forschern des Instituts für Geografie und Raumplanung der Uni Luxemburg.

Ein Gastbeitrag von Tom Becker*

Die Ansprüche an das Großprojekt Esch-Belval waren von Anfang an recht hoch: Das Vorhaben sollte zu einer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Erneuerung der durch die lang anhaltende Rezession geprägten Südregion beitragen. Dank der Dezentralisierung von Infrastruktur und der Entwicklung eines neuen Büro-, Innovations- und Forschungsstandortes sollte Belval nicht nur zur Verbesserung des Minette-Images, sondern auch zur Diversifizierung der nationalen Wirtschaft sowie zur Verlagerung des hohen Entwicklungsdrucks von der Hauptstadt Richtung Süden hin dienen.

Die Umwandlung der 120 Hektar großen Industriebrache sollte überdies einen Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung von Esch (immerhin der zweitgrößten Stadt unseres Landes) leisten. Aufgrund seines beachtlichen planerischen Anspruchsniveaus sollte Belval als Best-practice-Beispiel moderner Luxemburger Planungs- und Stadtentwicklungskultur dienen, sowohl national als auch international. So entstand der Mythos von Belval als innovativem Leuchtturmprojekt und als Instrument zur Umsetzung zukunftsträchtiger Transformationen für die nationale Ökonomie, die Luxemburger Gesellschaft sowie die Stadt- und Regionalentwicklung.

Nüchtern betrachtet bleibt das vor knapp 20 Jahren begonnene Projekt heute allerdings vielfach hinter diesen hohen Ambitionen zurück. In den letzten Jahren zogen zwar immer mehr öffentliche Institutionen (Universität Luxemburg, ADEM, „Administration de l’environnement“, „Administration de la gestion de l’eau usw.) nach Belval, was zu einem erheblichen Anstieg der dortigen Arbeitnehmer und Studierenden geführt hat. Durch die Relokalisierung der Universität und anderer Forschungs- und Weiterbildungseinrichtungen sowie der Ansiedlung weiterer unterstützender Einrichtungen wie Luxinnovation, Technoport oder des „Fonds national de la recherche“ wurde die „Cité des sciences“ ihrem Anspruch als Wissens- und Innovationszentrum gerecht.

Trotz des Nutzerzuwachses gestaltet sich die Anbindung des Geländes sowohl an Esch als auch an Sanem aber weiterhin schwierig. Bis auf die zentralen Bereiche des Square Mile wurden fast alle durch private Bauträger zu entwickelnden Grundstücke erschlossen. Die erhofften sozioökonomischen Folgen auf die Stadt und für die Region blieben unklar. Der Großteil der neu geschaffenen Arbeitsstellen wird beispielsweise nicht von in der Region Ansässigen, sondern von Pendlern besetzt.

Der elitäre Charakter des Projekts

Aus städtebaulicher Sicht ist Belval weiterhin kaum in das städtische Gefüge von Esch/Alzette und Sanem integriert. Da der Standort sehr stark auf die Funktionen Handel und Dienstleistungen ausgerichtet ist, sind bisher außer in Belval Nord fast ausschließlich Büro- und Geschäftsflächen entstanden. Viele von ihnen stehen immer noch leer. Dies führt unter anderem dazu, dass Belval nur eingeschränkt zugänglich für NutzerInnen aus schwächeren Bevölkerungsgruppen ist und sich das neue Viertel somit sozial ausgrenzend auswirkt. Zwischenzeitlich gibt es allerdings auch erste positive Tendenzen der Aneignung des öffentlichen Raums in der „Cité des sciences“ durch Studenten und Schüler aus dem nahe gelegenen Lyzeum (zum Beispiel „Gaart Belval“, „Terrasse des hauts fourneaux“, „Place Agora“).

Am Beispiel des Wohnens wird der durchaus elitäre Charakter des Projekts sichtbar: Die in Belval entwickelten Wohnprojekte richten sich aufgrund der hohen Entwicklungskosten in erster Linie an Haushalte mit mittleren und gehobenen Einkommen. Neben den bereits knapp 500 fertiggestellten Studentenwohnungen gibt es nur sehr wenige Wohnangebote für einkommensschwache Haushalte.

Belval steht mit diesen Herausforderungen nicht alleine dar. Wissenschaftliche Studien beobachten ähnliche Entwicklungen bei zahlreichen anderen urbanen Neubauprojekten, die als Großvorhaben geplant und realisiert wurden. Auch in diesen Fällen offenbaren sich die ökonomischen und soziokulturellen Effekte nur sehr viel langsamer und zum Teil auch anders, als ursprünglich geplant. Ähnlich wie Belval dienen diese Stadtentwicklungsprojekte meist dazu, tiefgreifende Umschwünge herbeizuführen. Veränderung wird zum Leitbild des politischen, wirtschaftlichen und planerischen Handelns. Kontinuität dagegen wird als bedeutungslos, wenn nicht sogar als rückständig oder gar falsch empfunden.

Diese Art des Denkens trägt letzten Endes jedoch häufig zu Problemen oder zu Verzögerungen in der Realisierung von Projekten bei. In vielen großen Stadtentwicklungs- oder Stadterneuerungsvorhaben wird nämlich versucht, Veränderungen vor allem durch signifikante räumliche Umbrüche – oft unter dem Deckmantel von Innovation, Smartness, Resilienz oder Nachhaltigkeit – herbeizuführen. Dabei wird oft verdrängt, dass sich solche urbanen Projekte nicht in einem räumlichen Vakuum entfalten, sondern in einem bereits bestehenden städtischen Gefüge, das von komplexen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Prozessen und Interessen auf vielen Ebenen geprägt ist (zum Beispiel Finanzierung, Grundstücksmarkt usw.).

Es sind diese Prozesse und Interessen, die in der Planung zu berücksichtigen sind, da sie die Kontinuität eines Raums ausmachen. Veränderung und Kontinuität schließen sich in der Stadtentwicklung demnach nicht gegenseitig aus – im Gegenteil, sie können sich eher wechselseitig verstärken. Vor allem bei großen Neubauvorhaben mit regionaler oder nationaler Bedeutung wird dieser Aspekt jedoch oft außer Acht gelassen. Anstatt auf bestehende Potenziale aufzubauen und sie zu nutzen, um eine behutsame Integration von Großprojekten zu fördern, werden oft beträchtliche urbanistische und entwicklungspolitische Brüche produziert, die Vorhaben in der Entfaltung ihrer geplanten Effekte bremsen oder gar hindern.

Bestehende Potenziale nicht genutzt

Was können wir konkret aus diesen Überlegungen für Belval sowie neue städtische Großprojekte in Luxemburg wie Esch-Schifflingen oder „Neischmelz“ in Düdelingen lernen? Erstens geht es in der Planung und Realisierung von städtischen Großprojekten nicht nur mehr um deren physische Dimension. Größe und Dichte eines großen Neubauvorhabens sind zwar als Eckpunkte wichtig, sollten aber nicht der alleinige Fokus sein. Vielmehr müssen die Auswirkungen von Projekten auf sämtliche Dimensionen und deren komplexen sozioökonomischen, ökologischen und politischen Verflechtungen betrachtet werden. Hierbei ist der kleinräumige Fokus (Stadt, Quartier, NutzerInnen) mindestens genauso wichtig – wenn nicht sogar wichtiger – als der großräumige (Region, Land, global).

Zwangsläufig ergeben sich aus dieser Betrachtungsweise zahlreiche Konflikte, die von den Entscheidungsträgern offen und transparent ausgetragen werden müssen. Zweitens: Dem zeitlichen Rahmen von Großprojekten kommt eine größere Bedeutung zu als dies bspw. bei Belval der Fall war. Vor dem Hintergrund der Realisierung tiefgreifender Veränderungen bei Berücksichtigung der Kontinuität von urbanen Stadtentwicklungsprozessen muss der zeitliche Rahmen für Planungs- und Implementierungsprozesse angepasst und von einseitigen politischen und wirtschaftlichen Zwängen befreit werden. Solche Prozesse müssen flexibel gestaltet werden, damit sie bei veränderten Rahmenbedingungen besser an die neuen Bedürfnisse angepasst werden können. Diese Erkenntnis scheint inzwischen zumindest in Planer- und Entwicklerkreisen in Luxemburg angekommen zu sein. Hierzu gibt es im Rahmen der Ausarbeitung des neuen Masterplans für Esch-Schifflingen bereits erste Vorschläge, um eine „flexible Stadt“[1] zu produzieren.

Drittens hat das Beispiel Belval gezeigt, wie die spezifische Governance-Konfiguration eines Großprojekts mit öffentlichen und öffentlich-privaten Entwicklungsträgern die Stadt und andere Akteursgruppen während der Planungs- und Implementierungsprozessen immer wieder aushebeln kann. Um dies zu vermeiden, braucht es vermehrt formale und informelle Kooperations- und Entscheidungsprozesse. Sie würden nicht nur konkurrierende Interessen zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand zusammenführen, sondern auch die Akteursvielfalt durch bestehende und zukünftige NutzerInnen eines neuen Entwicklungsstandorts erweitern. Impulse dafür müssen sowohl von den Entwicklungsgesellschaften als Teil des Projektmanagements als auch von den Städten ausgehen. Nur so kann durch Großprojekte hervorgerufener städtischer Wandel besser mit den Potenzialen kontinuierlicher Stadtentwicklung in Einklang gebracht werden.

* Tom Becker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Stadtforschung am Institut für Geografie und Raumplanung an der Universität Luxemburg.

[1] „La friche d’EschSchifflange aménagée par COBE“, Paperjam du 8.4.2019