ForumIm täglichen Taumel der Mobilität: Ein Erfahrungsbericht aus Luxemburg

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Vom 4. bis 9. August findet an der Uni Luxemburg das Jahrestreffen der IGU Urban Geography Commission statt. Es ist das erste Mal, dass diese Forschertagung in Luxemburg organisiert wird. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir in den nächsten Tagen mehrere Beiträge von Forschern des Instituts für Geografie und Raumplanung der Uni Luxemburg. 

Ein Beitrag von Professor Markus Hesse, Professor für Stadtforschung an der Universität Luxemburg, Institut für Geografie & Raumplanung.

Luxemburg bzw. seine Hauptstadt können als eine Art Prototyp moderner Dienstleistungsstädte betrachtet werden. Sie sind Standort von Finanzwirtschaft und Unternehmenszentralen, Politik und Verwaltung, beschäftigen ungewöhnlich viele Erwerbstätige im Vergleich zur Wohnbevölkerung und sind überdurchschnittlich international. Dies alles wurde durch die Etablierung wirtschaftlicher und politischer Beziehungen über die Grenzen des Landes hinaus ermöglicht. Mobilität kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Der stetige Einstrom von Personen (Berufspendler, Zuwanderer), Gütern (Luftfracht) oder Finanzen war eine zentrale Voraussetzung dafür, dass sich das kleine Land an der Spitze der globalen Wohlstandsskala positionieren konnte.

Vielzahl an Baustellen

Die benötigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuverlässig und sicher an die Arbeitsstellen zu bringen, war jahrzehntelang eine Domäne des Straßenverkehrs und seiner Infrastruktur. Im Grunde ist dies immer noch der Fall. Zwar hat sich die Regierung seit 2013 auf den Weg der nachholenden Entwicklung im öffentlichen Transport begeben, um Mobilität effizient und nachhaltig zu gestalten. Ein Teil der politischen Aufmerksamkeit kommt dabei dem Fahrrad zuteil. Wir sehen seither aber auch, dass Infrastruktur- und Verkehrspolitik träge und pfadabhängig sind: Vergangenheit wirkt extrem lange nach, einmal eingeschlagene Pfade lassen sich nur mittel- bis langfristig verändern.

Dies gilt erst recht für wohlhabende Gesellschaften, in denen ein hoher Teil des Einkommens in Automobile der oberen Mittelklasse und Oberklasse investiert werden kann, wo viele Fahrzeuge als Dienstwagen subventioniert werden und wo automobile Mobilität durch vergleichsweise niedrige Treibstoffpreise strukturell begünstigt ist. Wie soll sich automobile Kultur ausgerechnet hier rasch ändern? Hinzu kommt, dass sich der Nachholbedarf im öffentlichen Transport alltagspraktisch in einer Vielzahl von Baustellen (Tram, CFL, Straßen- und Tiefbau) äußert, die dessen Benutzung zumindest für einige Jahre zur besonderen Herausforderung machen.

Die Rahmenbedingungen für eine Umsteuerung im Verkehrssektor sind hier also nicht trivial. Hinzu kommen die genannten Besonderheiten des Wirtschaftsmodells Luxemburg, vor allem die Einbettung des Landes in übergeordnete Beziehungen sowie die Lenkung der damit einhergehenden Verkehrsströme (Einpendler). Neue Standorte sollen daher unter Einbindung des öffentlichen Transports entwickelt werden. Die Alltagspraxis zeigt jedoch auf gut nachvollziehbare Weise, dass nicht nur der Teufel im Detail steckt, sondern dass Pfadabhängigkeiten sowie Bau-, Planungs- und Mobilitätskulturen im Wortsinn „eingefahren“ sind, mithin nur schwer verändert werden können. Da nichts so einleuchtend ist wie ein praktisches Beispiel, soll dieses strukturelle Problem im Folgenden anhand der persönlichen Erfahrungen des Autors illustriert werden.

Ich pendle seit September 2015

Ich pendle seit September 2015, dem Umzug der Universität bzw. meiner Fakultät auf den neuen Campus, zur Arbeit aus der Hauptstadt nach Belval. Mein Wohnstandort in Belair, dem westlichen Zentrum der Stadt Luxemburg, ist ca. 2,5 Kilometer Fußweg oder Autofahrt von der Gare Centrale entfernt, die Bushaltestelle Centre Monterey weniger als einen Kilometer, der Stadtbus 5/6 hält praktisch vor der Tür – das Quartier darf also als ebenso gut erschlossen betrachtet werden wie der Campus. Belval gilt aufgrund seiner Entwicklung als dichtes, kompaktes Stadtquartier und wegen seiner Erschließung mit Bus und Bahn auch mit Blick auf den Verkehr als nachhaltig, wenn nicht vorbildlich. Die fast vierjährige Praxis als Berufspendler spricht jedoch eine andere Sprache.

Die Zugfahrt von der Hauptstadt nach Belval ist im Vergleich mit allen anderen Möglichkeiten die am wenigsten attraktive Alternative, um pünktlich und entspannt zur Arbeit zu kommen. Züge sind voll und notorisch verspätet, viele Zugfahrten fallen mit einer gewissen Regelmäßigkeit aus, und mittlerweile legendär ist die (Nicht-)Informationspolitik der CFL an ihre Fahrgäste über Anlass und Dauer von Verzögerungen bzw. mögliche Alternativen. Aufgrund des einströmenden Pendlerverkehrs in die Innenstadt ist der Stadtbus keine Option, um zur Gare zu kommen, eher das eigene Rad oder das VélOH, wenn man die Trambaustelle einmal ignoriert. Trotzdem nimmt die Haus-zu-Haus-Verbindung zwischen Belair und Belval locker eine Stunde in Anspruch – pünktliche Abfahrt und Ankunft des Zuges vorausgesetzt, was aber eher Ausnahme als Regelfall ist. Eine Stunde bis eine Stunde und zehn Minuten muss ich kalkulieren, und dies wird auf Jahre hin so bleiben.

Auto ist keine sinnvolle Alternative

Eine praktische Alternative sind die RGTR-Busse der Linien 202/203 von Monterey, die die Hauptstadt mit dem Südwesten des Landes verbinden. Damit kann ich meine Gesamtreisezeit auf ca. 50-55 Minuten reduzieren. Drei Eigenschaften machen das Ganze suboptimal: Erstens fahren beide Linien im Abstand von wenigen Minuten im Durchschnitt halbstündlich über den Werktag verteilt; zweitens müssen sie sich durch die Route d’Esch und damit durch Cloche d’Or quälen, was die Busfahrt seit der schrittweisen Inbetriebnahme des Quartiers am Ban de Gasperich extrem verspätungsanfällig macht.

Drittens bedienen beide Busse zwar den Rond-point Raemerich, aber nicht den Campus. Also kommen knapp 10 Minuten Fußweg hinzu, vor allem seit nach der Eröffnung der Autobahnbrücken-Baustelle in Belvaux die TICE-Busse den Campus nicht mehr mit Raemerich verbinden. Warum nicht wenigstens eine Linie gleich über die A4 und direkt auf den Campus führen? Oder den lange versprochenen Direktbus von der Gare nach Belval anbieten? Dies würde die Reisezeit enorm reduzieren.

Das eigene Auto ist keine sinnvolle Alternative, wiewohl es die Gesamtreisezeit mit ca. 25 Minuten gleich halbieren würde. Doch gibt es bereits eindeutig viel zu viele Pkws auf Luxemburgs Straßen. Zudem wird der Parkraum in Belval systematisch reduziert, und die Beschäftigten der Universität bekommen bisher entweder einen M-Pass für den öffentlichen Transport oder ein Parkticket subventioniert. Mitfahrgelegenheiten machen das Ganze etwas erträglicher und (wie die Fahrt mit dem Tesla der Kollegin aus Hollerich …) auch in Maßen nachhaltiger.

Angebotsinnovationen

Bleibt die Fahrt mit dem eigenen Fahrrad, die zumindest im Sommerhalbjahr und bei passendem Wetter die in jeder Hinsicht klar überlegene Variante darstellt. 18 Kilometer Entfernung lassen sich trotz lebhafter Topografie und je nach Tagesform in gut einer Stunde plus auf sehr nachhaltige Weise zurücklegen; das notwendige Sportpensum ist gleich auch getan. Allerdings gehört zu dieser Alternative auch eine gehörige Portion Risiko- und Leidensbereitschaft – vor allem in den ersten 20 Minuten, um aus dem städtischen Straßenverkehr zu kommen, in einem Mittelstück über N13/CR172 in der Zufahrt auf Esch/Alzette, schließlich in der Einfädelung auf den Campus Belval. Mobilitätskultur am Volant? Fehlanzeige! Auch Straßenlayout, Verkehrsführungen und Ampelschaltungen in Belval erleichtern die Nutzung des Fahrrads keineswegs, die Pfadabhängigkeit der Praxis von Ponts et Chaussées ist evident. Und das fast vier Jahre nach dem Umzug auf den Campus.

Wir freuen uns, dass der Transportminister den Fonds Belval seinerzeit davon überzeugen konnte, dass die Universität Duschen und Umkleideräume als wichtiges Element einer alltagstauglichen Radinfrastruktur anbieten muss. Im Licht der hier skizzierten Erfahrungen sind aktuelle Angebote wie kostenloser öffentlicher Transport dagegen eine eher sinnfreie Verheißung; Gleiches gilt für die Schnelltram nach Belval, die für das Jahr 2035 versprochen wurde. Wir brauchen sichere, bequeme und leistungsfähige Angebote und Infrastrukturen für Bus, Bahn und das Rad JETZT, auf eigenen Trassen und mit so viel Vorrang gegenüber dem Pkw-Verkehr wie eben möglich.

Solche Angebotsinnovationen würden jedoch auch nur ein Teil des Problems lösen, blickt man auf die stetig steigende Nachfrage. Solange sich das Dienstleistungszentrum Luxemburg primär durch die Zufuhr auswärtiger bzw. internationaler Arbeitskräfte am Leben hält, wird der Druck auf das Verkehrssystem weiter steigen. Wenn schon die Mobilität aus der Hauptstadt in ein Zentrum wie Belval nur suboptimal funktioniert: Was ist mit den wachsenden Pkw-Strömen aus solchen Regionen, die nicht oder nur schlecht an den öffentlichen Transport angebunden sind? Sie werden die Effekte der nachholenden Infrastrukturpolitik schnell wieder aufgezehrt haben. Was ist dann die Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung?

 

Lorang
1. August 2019 - 16.35

Ich fahr zum nächsten Bahnhof, parke da gratis und dann mit dem Zug nach Luxemburg. Ich bin schließlich kein Masochist. Parken in der Stadt kostet das Mehrfache des Zugtickets (bald ja auch gratis) vom Stau mal gar nicht zu reden.